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Ich habe meine einsamen Zoo-Fahrten wieder aufgenommen. Auch zu Pfingsten war ich dort und ließ die Menschen an mir vorüberfluten. Diese Physiognomien könnten selbst mich beinahe glauben machen, daß wir vom Zukunftsstaat noch grenzenlos weit entfernt sind! – Alle alten Bekannten fanden sich um den Stammtisch ein, – wie schrecklich gleichgültig und langweilig sie mir doch inzwischen geworden sind! Wie gern ich auf sie und den ganzen Zoo verzichtete, wenn Sie auch nur einen einzigen Nachmittag wieder neben mir säßen!

Sie herzlichst grüßend, verbleibe ich

Ihr treuergebenster 
Georg von Glyzcinski. 

Allerlei Lektüre, auch der ‚Vorwärts‘, folgt anbei!“


„Kranz, 29. 6. 92 

 Verehrter Herr Professor!

Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief, den ich erst heute beantworte, weil wir inzwischen von einem sogenannten Vergnügen zum anderen hetzten und Ilschen den Rest meiner Zeit mit ihrer Kur in Anspruch nahm. Die Gesellschaft, in der ich mich ständig befunden habe und die doch eigentlich die meine ist, wird mir bis zur Verständnislosigkeit fremd. Ihre Atmosphäre legt sich mir beklemmend aufs Herz, wie die eines überfüllten Saales; und wenn ich versuche ein Fenster zu öffnen, so schreit alles, aus Angst vor Erkältung.

Nach Ihrem letzten Bericht über die Kommissionsverhandlungen und nach dem Empfang des Programms und der Statuten ist das glühende Feuer meiner Hoffnung freilich durch einen recht abkühlenden Wasserstrahl

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/549&oldid=- (Version vom 31.7.2018)