schlimmsten Befürchtungen für die Zukunft nicht in Erfüllung gehen! Das ist der einzige Wunsch, mit dem ich deine Heirat begleite …“
Aber je näher ich meinem Ziele war, desto gleichgültiger ließen mich all die Nadelstiche des täglichen Lebens.
Als ich jedoch am Abend vor der Trauung zum letztenmal in die elterliche Wohnung zurückkehrte, stockte mir schon vor der Türe der Atem, und in den dunkeln Räumen legte sich mir die Luft zentnerschwer auf das Herz. In dem verlassenen Zimmer des Vaters war es totenstill, selbst die Uhr tickte nicht mehr; – hatte ich – ich, die Tochter, die er am meisten liebte, ihn nicht hinaus getrieben?! Stumm und in sich gekehrt saßen Mutter und Schwester und ich um den gedeckten Tisch und zerbröckelten das Brot zwischen den Fingern. Die Lampe wollte heute nicht leuchten, und der Teekessel summte schwermütig, – groß und vorwurfsvoll sah mir zuweilen das blaue Augenpaar der Schwester entgegen, – die Mutter vermied meinen Blick; und was sie sagte, kam ihr rauh und hart aus der Kehle. In mein Zimmer trieb es mich früher als sonst. Ich legte mechanisch meine letzten zurückgebliebenen Sachen in den Koffer. Da klopfte es leise – und in den unruhigen Schein der Kerze trat Klein-Ilse mit heiß-geweinten Wangen, einen Kranz von Orangenblüten in der Hand und einen weißen Schleier. Sie wollte sprechen, – sie konnte es nicht, – unaufhaltsam flossen ihr die Tränen aus den Augen; – mit einer Bewegung, die Schmerz, Haß und Liebe zugleich zu diktieren schienen, warf sie ihre Gabe auf den Tisch und war im nächsten Augenblick wieder
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/589&oldid=- (Version vom 31.7.2018)