Trauring an der Hand meines Gefährten, – er hatte ein Weib daheim und vier kleine Kinder.
„Sind wir so frei, um tun zu können, was wir wollen?“ kam es mir leise, wie im Selbstgespräch über die Lippen.
„Sie haben recht – wir müssen uns abfinden – so oder so!“ …
Früher, als Georg mich erwartet hatte, kam ich nach Haus. Ganz leise schloß ich die Wohnungstür auf, – um die Zeit war er immer in seine Studien vertieft, dann hörte und sah er nichts. Aber kaum hatte ich den Fuß über die Schwelle gesetzt, klang mir schon seine Stimme entgegen –
„Alix“ – Ein einziger Laut, – und der Jubel, die Sehnsucht, die Liebe eines ganzen Herzens darin! Ach, und wie seine Lippen bebten und brannten, – zum erstenmal hatte er mich auf den Mund geküßt.
„Das Leben ist kurz, Alix, viel – viel zu kurz! Du mußt mich nie mehr verlassen!“
„Nie mehr, Georg – nie mehr!“ – Angstvoll forschte ich in seinen Zügen. – „Hast du gelitten, – mehr als sonst?“
„Sprechen wir nicht davon, – jetzt ist es ja gut – alles gut!“ Und er lächelte mit seinem strahlendsten Lächeln.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/627&oldid=- (Version vom 31.7.2018)