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Maria Janitschek: Stummer Kampf

Sitten noch nicht, so will ich dich heute entschuldigen. Dieser Stuhl da ist der meiner Frau. Sie ist vor zwei Wochen gestorben. Er soll zu ihrem Andenken noch stehen bleiben.«

»Habt Ihr sie sehr lieb gehabt?« zwitschert’s wieder von unten.

Ulf wirft einen erschreckten Blick auf die Fragerin. Ihre Augen begegnen mit strahlender Warme den seinen.

Der Alte oben am Tische streicht sich durch den weissen Bart. »Sie war ein braves Weib. Kein Tag ging ihr nutzlos vorüber. Sie hat Gott gefürchtet und ihre Kinder in seiner Zucht erzogen. Sie war mir eine gehorsame Gefährtin. Selbst als ihr jüngster Bruder, dein Vater, ihr den Kummer bereitete, in ein fremdes Land zu ziehen und sich eine Frau aus fremdem Blute zu nehmen, verlor sie nicht ihre Ruhe.«

»Ach, wenn er noch lebte, der gute Vater! Er war so lieb und schön. An Mutter erinnere ich mich gar nicht. Sie starb, als ich noch ganz klein war.«

»Ein Glück.« Hat es Jemand geflüstert? Die Anwesenden sehen einander betroffen an.

»Und der Vater lehrte mich euere Sprache. Ich konnte mich mit den anderen Kindern fast gar nicht unterhalten, die nur italienisch reden. Wenn der Vater auf Fischfang hinauszog – du, warum ist denn euer Meer so hässlich graugrün?« wandte sie sich plötzlich an Ulf, der Alte schien ihr zu weit zu sitzen. »Das unsere ist ganz, ganz blau und so lind. Du meinst, in lauter weiche Blumenblätter zu sinken, wenn du in seine Wasser tauchst, du das ist dir schön! Und am Abend, wenn man hinaussegelt, die grossen Sterne, die spiegeln sich wieder in der Fluth, und dann hast du zwei Himmel, den einen oben und den andern unter dir, und weiche Mandolinenklänge klingen vom Ufer herüber und lassen dich glauben, du hörtest die leisen Stimmen der Engel. Dann kommt wohl Einer oder der Andere im Nachen dir nach, bindet sein Schifflein an deines, steigt zu dir herüber, legt den Arm um dich und flüstert dir etwas Liebes ins Ohr. Und bunte Lämpchen zünden sie an und essen bei ihrem Rosenschein Confetto, und schenken einander Blumen und Küsse …«

»Wie alt bist du, Dirne?« klang es vom Kopfende des Tisches herab.

»Sechzehn, Väterchen.«

Ulf hatte den Arm auf den Tisch gestützt, das Haupt darauf gelehnt und starrte mit grossen Augen auf das schwätzende Mägdlein.

»Und du hast wirklich Niemanden in Spezia? Hat deine Mutter denn keine Verwandten gehabt?«

»Nein, Niemanden. Deshalb sagte mein Vater, bevor er starb: Unten an der nordischen Küste, sagte er, bei Thorwaltshavn, lebt meine Schwester. Geh’ zu ihr, sie wird dich aufnehmen. Hier will ich dich nicht allein wissen, sagte er. Ich verkaufte Alles, was wir besassen, als er todt war, und kam hierher. O, er war so süss! Keinmal kam er nach Hause, ohne mich an seine Brust zu ziehen und zu küssen. Wir hatten einander schrecklich lieb.«

Empfohlene Zitierweise:
Maria Janitschek: Stummer Kampf. Wiener Rundschau, Wien 1. März 1897, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Stummer_Kampf_(Janitschek).djvu/003&oldid=- (Version vom 31.7.2018)