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Maria Janitschek: Stummer Kampf

»Ihr trauriges Zwitschern. Selbst in der Nacht. Gestern kroch ich zu Radulph aufs Lager und schwatzte mit ihm, um die ängstlichen Laute nicht zu hören. Was soll ich thun? Sie werden allesammt zugrunde gehn.«

Ulf starrte wie geistesabwesend auf den Platz gegenüber am Tische.

Der Alte sagte: »Nimm den fremden Vogel aus dem Neste.«

»Dann stirbt er aber, denn er kann noch nicht fliegen.«

»Lass ihn sterben.«

»Nein!« schrie Ulf wie erwachend auf, »nein, er soll nicht sterben!«

Aus des Greises Augen flammte ein Blitz.

»Geh fort, Bube!« rief er dem Jungen zu.

Dann standen die beiden Männer einander gegenüber. Sie sahen sich in die Augen. Ulf legte die Hand über die seinen. – – –

Als er aufblickte, war der Alte verschwunden. Er stand allein in der weiten Stube.

Die Flammen auf dem Herde brannten nicht aufwärts, sondern schlugen zur Seite wie in irrer Flucht. – – –


II.

Andern Tags gegen Abend.

Vor dem kleinen Fenster bäumt sich ein grünliches Gespenst und winkt und droht mit huschenden Händen. Die See ist in unheimlicher Erregung. In der braunen Stube sitzen die Leute am langen Tische und verzehren schweigend ihr Nachtmahl. Das Herdfeuer wirft ungewisse Lichter um sich. Bald loht’s durch den Raum wie sinkender Sonnenschein, bald hüllt Dämmerung Alles in fahle Schatten, bald ruht auf des Einen oder Andern Haupt ein flimmernder Glanz. Sie schweigen und essen, wie sie gestern und vorgestern thaten. Oben am Kopfende des Tisches sitzt der Alte, wie er vor fünfzig Jahren schon sass, mit unbeweglichem, steinernem Gesicht, in dem nur die Augen zu leben scheinen, ein unergründliches, von Niemand verstandenes Leben.

Drei Stühle am Tische sind leer.

Der der Todten, Ulf’s seiner und jener der jungen Dirne.

Der Greis sieht die Leute entlang.

»Wo ist Ulf?«

»Er ist vor etlichen Stunden mit seinem Netze hinausgerudert, Vater.«

»War er allein?«

»Nein, Vater, deiner Frau Bruderkind war mit ihm.«

Das grobknochige Weib mit dem herben, demuthigen Gesichte neigt sich wieder über den Teller. Der Greis schweigt und streicht langsam durch seinen niederwallenden Bart. »Weshalb ging die Dirne mit ihm?«

Die Frau weiss keine Antwort zu geben, aber ihr jüngster Bub weiss eine.

Empfohlene Zitierweise:
Maria Janitschek: Stummer Kampf. Wiener Rundschau, Wien 1. März 1897, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Stummer_Kampf_(Janitschek).djvu/005&oldid=- (Version vom 31.7.2018)