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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

 konnte dem Monarchen, der ihn faßte, nur eine aufrichtige Sorgfalt für das Beste des Staats dictiren, da für ein neugebohrnes und gegen ein ungebohrnes Kind keine Parteilichkeit statt finden kann. Und das Mittel, welches er dazu erwählte, bestätigt dieß noch mehr indem es vielleicht das Einzige ist, bey welchem sich die Gerechtigkeit gegen den Prinzen, welchen man beraubte, mit der Gerechtigkeit gegen den Staat noch einigermaaßen vereinigen ließ. Denn dem Prinzen geschah dadurch die wenigstmögliche Gewalt; er wurde in einem glücklichen Loos in der Gesellschaft, ja sogar für eine königliche Bestimmung erzogen. Wenn ihm in der Folge der Tod seines ältern Bruders den Weg zu dem Thron geöffnet hätte, so hätte ihm diese Unwissenheit seines Standes eher genutzt als geschadet, und er würde in alle seine Rechte wieder eingetreten seyn, ohne durch den bisherigen Irrthum über sich selbst das geringste verloren zu haben, was ihn zu dem ganzen Genuß derselben fähig machen konnte. Ob die Uebel wirklich zu erwarten waren, denen man durch diesen sonderbaren Ausweg vorbeugen wollte, dürfte schwerlich einem Streit unterworfen seyn; wohl aber, ob das Entschiedenste Beste des Staats zur Rechtfertigung dienen konnte, gegen ein einzelnes Glied desselben gewaltthätig zu verfahren? Der unwidersprechlichste Nutzen des Staats würde es nicht entschuldigen, dem geringsten Bürger ein Recht zu entziehen, woran er als Mensch Anspruch machen kann, und wenn Millionen Beyspiele das Gegentheil zeigen, so handelte in diesen Fällen der Staat der stärkere gegen den schwächern, d. i. nach der Gewalt und nicht nach dem Rechte. Aber der Staat sollte es nie vergessen daß er selbst nur ein Mittel zu dem Zwecke seiner Glieder ist (der in dem Genuß ihrer Rechte besteht) und daß der Zweck nie seinem Mittel darf aufgeopfert werden. Eine schreyende Gewaltthätigkeit wäre es demnach gewesen, wenn an diesem Zwillingsbruder
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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft10_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)