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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

der Natur erwarb, den er in das System seiner Empfindungen und Gedanken verwebte, den strömt er wieder über alle seine Werke aus. So entstanden der Apoll von Belvedere, die mediceische Venus, die Schule von Athen, die Aeneide, der Mahomet; so bildeten sich Demosthenes und Cicero, und Mole und Garrick. Die Ideale des Meisels und der Malerei, der Dichtkunst und der Schauspielkunst finden wir sämmtlich auf dem Punkte, wo das einzeln zerstreute Vortreffliche der Natur, zu einem Ganzen vereinigt, eine nach den Denkformen unsrer Vernunft mögliche, auch von unserm Sinne zu fassende, und sogar noch sinnlich mittheilbare, aber in der lebendigen Natur nirgends vorhandne Vollkommenheit darstellt. Göttlich groß ist das Künstlergenie, das den Eindrücken der Natur stets offen, tief und innig unterscheidend empfindet, und nach seiner innern Harmonie das Treffendste vom Bezeichnenden, das Edelste vom Edeln vom Schönen das Schönste wählt, um die Kinder seiner Phantasie aus diesen erlesenen Bestandtheilen in Zauberformen zu gießen, welche wahr in jedem einzelnen Punkte ihres Wesens, und nur in so fern der Mensch sie einigte, liebliche Träume sind.

Nur das Gleichartige kann sich fassen. Diesen Geist zu erkennen, der über die Materie hinwegschwebt, ihr gebietet, sie zusammensetzt und schöner formt, bedarf es eines ähnlichen prometheischen Funkens. Allein wie viele Stufen giebt es nicht zwischen der Unwissenheit, die an einer Bildsäule nur die Glätte des Marmors

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft11_089.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)