Seite:De Thalia Band3 Heft12 066.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Allein da das Kabinet zu Versailles diese Demüthigung ertrug, war die Gährung in Frankreich schon zum Ausbruch gekommen.

Ludwig XVI regierte seit eilf Jahren Frankreich. Er hatte keine Laster, keinen der Nation gefährlichen Hang: Aber er hatte nicht jenen großen, selbstständigen Geist, den die Umstände zu fodern schienen. Er zeigte sich lenkbar der Tugend und der Wahrheit, aber auch lenkbar dem Laster, wenn es in einer gefälligen Maske erschien. Antoinette von Oesterreich schien alle Eigenschaften zu besitzen, die den Thron verschönern, aber nicht alle, die ihn veredeln konnten. Sie ward angebetet, so lange sie nicht Königin war: Nachher trug sie die Strafe der Vergehungen ihrer Lieblinge. Nah am Thron sahn Paris und die Provinzen mit Unwillen oder mit Spott unmäßige Verschwendung und unglaubliche Ausgelassenheit der Sitten. Der Glanz um den Thron blendet das Vorurtheil: Das Laster am Thron erscheint nur schwärzer durch den Kontrast vor den Augen der Philosophie, und der Tag der Philosophie war angebrochen.

Eine solche Regierung sah' eine beständige Ebb' und Fluth von Ministern. Nicht alle waren lasterhaft, denn ein solches Unglück konnte keinen guten König treffen: aber alle waren verschieden in ihren Systemen, in der Wahl ihrer Kreaturen, in den Mitteln zu Erreichung ihrer Endzwecke, und in ihren Endzwecken

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft12_066.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)