Seite:De Thalia Band3 Heft9 091.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

IV.

Die Kunst und das Zeitalter.




Von allen zarten Blüthen, welche den Garten des geselligen Lebens schmücken, von allen die zarteste, die schönste, die vergänglichste ist die Blüthe der Kunst. Vor dem Entfalten scheint ihre Knospe nur ein dunkles Chaos, welches sich mühsam zu formen beginnt. Was auf den Augenblick ihrer Vollkommenheit folgt, ist nur entseelte Gestalt. Vergebens wünscht man diesen glänzenden Moment zu verlängern oder festzuhalten; nicht einmal ihn wiederzubringen steht in menschlicher Hand. Unter einem glücklichen und in seiner Art einzigen Zusammenfluß von Umständen erhoben sich die Griechen ganz allein zur höchsten Vollkommenheit des Ideals. Was von ihren göttlichen Werken der Zerstörungswuth der Jahrhunderte entgangen, oder auch nur in Nachahmungen den Spätlingen des Menschengeschlechts erschienen ist, bewahrt noch die heilige Glut, an welcher der Genius der neueren Kunst seine Fackel zu zünden versuchte. Allein was bleiben die Kunstepochen des alten und des neuen Roms, was die späteren Frankreichs und Grosbritanniens, sobald Griechenland seine Modelle zurückfordert, und ihnen nur ihr Eigenthümliches übrig läßt? Jede Abweichung von dem Ebenmaas, welches Polyklet in seinem Kanon

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)