Wir nahmen alle Platz. Eine Minute verging in Schweigen.
„Hast wohl den Besuch nicht erwartet?“ begann Olimpiada Jegorowna, sich an Dokukin wendend. „Ich hatte auch gar nicht die Absicht, dich zu besuchen, lieber Bruder, da muß ich aber zum Adelsmarschall und bin unterwegs eingekehrt…“
„Warum fährst du zum Adelsmarschall?“ fragte Dokukin.
„Warum ich hinfahre? Um mich über ihn zu beschweren!“ sagte die Dame mit einem Blick auf ihren Gatten.
Dossifej Andrejitsch senkte die Aeuglein, zog die Beine unter den Stuhl ein und hüstelte verlegen in die hohle Hand.
„Warum willst du dich über ihn beschweren?“
Olimpiada Jegorowna seufzte.
„Er hat seinen Stand vergessen!“ sagte sie. „Was soll ich tun? Ich habe mich schon bei dir beklagt, lieber Bruder, und auch bei seinen Eltern, war mit ihm beim Geistlichen P. Grigorij, damit er ihm eine Ermahnung erteile, habe auch selbst alle Mittel angewandt, nichts hat geholfen! Nun muß ich notgedrungen den Herrn Adelsmarschall bemühen…“
„Was hat er denn angestellt?“
„Nichts hat er angestellt, aber seinen Stand hat er vergessen! Er ist zwar still und respektvoll, trinkt auch nicht, aber was nützt das, wenn er an seinen Stand nicht denkt? Schau ihn nur an, wie er gebückt dasitzt, wie irgendein Bittsteller oder Kleinbürger. Sitzt denn ein Edelmann so? Sitz ordentlich! Hörst du?“
Dossifej Andrejitsch reckte den Hals, hob das Kinn, offenbar um sich ordentlich hinzusetzen, und blickte seine Frau scheu
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. München: Musarion, 1920, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/056&oldid=- (Version vom 31.7.2018)