schlicht und einfach zu antworten, ziehen es vor, mich täglich zufällig zu treffen und mir Moralpredigten zu halten!“
Frau Lubjanzew erschrak und wurde rot. Sie empfand plötzlich jene Geniertheit und Beschämung, von der anständige Frauen befallen werden, wenn man sie unversehens nicht ganz angekleidet erblickt.
„Es ist, als ob Sie eine Intrige meinerseits vermuteten…“ stammelte sie. – „Ich habe Ihnen immer eine gerade Antwort gegeben und… und Sie heute sogar gebeten!“
„Ach, in solchen Sachen bittet man doch nicht! Hätten Sie gleich und direkt gesagt: geh’n Sie weg! so wäre ich schon lange nicht mehr hier. Aber Sie sagten es nicht! Noch keinmal haben Sie mir eine direkte Antwort gegeben. Eine sonderbare Unentschlossenheit! Bei Gott, entweder treiben Sie mit mir Ihr Spiel, oder…“
Iljin führte seine Rede nicht zu Ende und stützte seinen Kopf in die Hände. Ssofja Petrowna begann sich ihr Benehmen vom Anfang bis zum Ende ins Gedächtnis zu rufen. Sie erinnerte sich, daß sie alle diese Tage nicht nur in ihren Taten, sondern auch in ihren geheimsten Gedanken immer gegen Iljins Hofmacherei gewesen war, fühlte aber zugleich, daß an den Worten des Advokaten dennoch etwas Wahres war. Da sie aber nicht wußte, worin diese Wahrheit bestand, so verfiel sie auch auf nichts, was sie auf Iljins Klagen hätte erwidern können. Das Schweigen wurde peinlich, und so sagte sie achselzuckend:
„Ich soll also auch noch schuld sein? …“
„Ich will Ihnen Ihre Unaufrichtigkeit nicht als Schuld anrechnen. – Ich erwähnte das nur unter anderem… Ihre Unaufrichtigkeit ist natürlich und vollkommen in der
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/105&oldid=- (Version vom 31.7.2018)