Wirst schon mitkommen, wenn du’s erfährst! dachte Ssofja Petrowna.
Nachdem sie einmal beschlossen hatte, auf jeden Fall zu verreisen, fühlte sie sich außer Gefahr. In ihre Gedanken kam allmählich Ordnung, sie wurde wieder fröhlich und erlaubte sich sogar, über alles nachzudenken: was ich auch denke, worüber ich auch phantasiere – fahren muß ich doch! Während der Mann schlief, wurde es allmählich Abend… Sie saß im Salon und spielte Klavier. Die Musik und hauptsächlich der Gedanke, daß sie brav gehandelt, die drohende Gefahr besiegt hatte, stimmten sie heiter. Andere Frauen, sagte ihr das beruhigte Gewissen, hätten in ihrer Lage kaum der Versuchung standgehalten, während sie vor Scham beinahe gestorben ist, gelitten hat und jetzt vor der Gefahr, die vielleicht gar nicht existiert, flieht! Ihre Tugendhaftigkeit und Entschlossenheit rührten sie so, daß sie sogar ein paarmal einen befriedigten Blick in den Spiegel warf.
Als es dunkelte, kamen Gäste. Die Herren setzten sich ins Spielzimmer, während die Damen im Salon und auf der Veranda Platz nahmen. Als letzter kam Iljin. Er war traurig, finster und schien sich nicht wohl zu fühlen. Wie er sich in eine Ecke des Diwans gesetzt hatte, so blieb er auch da den ganzen Abend sitzen. Für gewöhnlich lustig und gesprächig, schwieg er diesmal beharrlich, runzelte die Stirn und rieb sich die Augen. Wenn er auf irgendeine Frage antworten mußte, so lächelte er angestrengt, nur mit der Oberlippe, und antwortete abgerissen, ärgerlich. Einige Male versuchte er, witzig zu sein, aber seine Witze waren scharf und unverschämt. Ssofja Petrowna schien es, daß er nahe daran war, einen hysterischen Anfall zu bekommen. Erst jetzt, am Klavier sitzend, empfand sie es zum ersten Male deutlich, wie
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/113&oldid=- (Version vom 31.7.2018)