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sie, ohne zu zwinkern, lange in die Ferne blickte, glaubte sie große Menschenmassen und Feuer zu sehen und Musik und Rufe der Begeisterung zu hören; und sie sah sich selbst in einem weißen Kleide, von Blumen überschüttet. Sie dachte auch daran, daß an ihrer Seite, an den Bord gelehnt, ein echter großer Mann, ein Genie, ein Auserwählter Gottes stehe… Alles, was er bisher geschaffen hat, ist schön, neu und ungewöhnlich; und alles, was er mit der Zeit, wenn sein außergewöhnliches Talent gereift und erstarkt ist, schaffen wird, wird erstaunlich und unsagbar erhaben sein; dies kann man schon an seinen Gesichtszügen, seiner Haltung und seinem Verhältnis zur Natur erkennen. Von den Schatten, den abendlichen Tönen, vom Mondglanze spricht er in einer besonderen, nur ihm eigenen Sprache, so daß man unwillkürlich in den Bann seiner Gewalt über die Natur gerät. Er selbst ist sehr hübsch, originell, und sein unabhängiges, freies, aller irdischen Sorgen bares Leben gleicht dem eines Vogels.

„Es wird frisch,“ sagte Olga Iwanowna und fuhr zusammen.

Rjabowskij hüllte sie in seinen Mantel und versetzte traurig:

„Ich fühle mich ganz in Ihrer Gewalt. Ich bin ein Sklave. Warum sind Sie heute so bezaubernd?“

Er blickte sie die ganze Zeit unverwandt an, seine Augen waren so schrecklich, und sie fürchtete, ihn anzusehen.

„Ich liebe Sie wahnsinnig…“ flüsterte er, während sein Atem ihre Wange berührte. „Sagen Sie mir nur ein einziges Wort, und ich werde nicht mehr leben, werde meine Kunst aufgeben…“ murmelte er in höchster Erregung. „Lieben Sie mich, lieben Sie mich…“

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Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/148&oldid=- (Version vom 31.7.2018)