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„Ich finde nichts Besonderes,“ sagte er der Mutter, das Krankenzimmer verlassend. „Wenn Ihre Tochter bisher vom Fabriksarzt behandelt wurde, so soll er sie nur weiter behandeln. Die Behandlung war richtig, und ich sehe keine Notwendigkeit, den Arzt zu wechseln. Wozu auch? Die Krankheit ist ja so gewöhnlich, es ist nichts Ernstes…“

Er sprach langsam und zog sich dabei die Handschuhe an. Frau Ljalikow stand aber unbeweglich da und sah ihn mit verweinten Augen an.

„Bis zum Neunuhrzug bleibt mir nur noch eine halbe Stunde,“ sagte er. „Ich hoffe, daß ich nicht zu spät komme.“

„Können Sie denn nicht bei uns bleiben?“ fragte sie, und Tränen liefen ihr wieder die Wangen herab. „Ich muß mich schämen, Sie zu belästigen, aber seien Sie so gut… um Gottes willen,“ fuhr sie leise fort, auf die Tür zurückblickend. „Uebernachten Sie doch bei uns. Ich hab’ nur das eine Kind… Solche Angst hat sie uns in der vergangenen Nacht gemacht, daß ich gar nicht zu mir kommen kann… Fahren Sie, um Gottes willen, noch nicht weg…“

Er wollte ihr sagen, das er in Moskau viel Arbeit habe, daß ihn seine Familie erwarte; es fiel ihm schwer, den ganzen Abend und die ganze Nacht ohne besondere Notwendigkeit in einem fremden Hause zuzubringen. Als er aber ihr Gesicht ansah, seufzte er und begann die Handschuhe wieder auszuziehen.

Im Saal und im Gastzimmer wurden ihm zu Ehren alle Lampen und Lichter angezündet. Er saß vor dem Klavier und blätterte in den Noten, dann sah er sich die Bilder und Bildnisse an den Wänden an. Die goldgerahmten Oelbilder stellten Krimlandschaften dar, ein stürmisches Meer mit einem Schiffchen, einen katholischen Mönch mit einem Weinglas in der Hand, und alles war trocken, glatt und talentlos… Auf

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Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/202&oldid=- (Version vom 31.7.2018)