traurig und klug, und es war in ihnen zu lesen, daß sie ihm etwas sagen wollte.
„Haben Sie das oft?“ fragte er.
Sie bewegte die Lippen und antwortete:
„Sehr oft. Fast jede Nacht ist es mir so schwer ums Herz.“
In diesem Augenblick begannen die Nachtwächter draußen die zweite Stunde zu schlagen. Es tönte: „drr… drr…“, und sie fuhr zusammen.
„Beunruhigen Sie diese Töne?“ fragte er.
„Ich weiß nicht. Alles beunruhigt mich hier,“ antwortete sie nachdenklich. „Alles beunruhigt mich. In Ihrer Stimme höre ich Teilnahme; gleich als ich Sie sah, sagte ich mir, daß ich mit Ihnen über alles sprechen kann.“
„Sprechen Sie doch bitte.“
„Ich will Ihnen meine Ansicht sagen. Ich glaube, daß ich gar nicht krank bin; ich habe aber diese Unruhe und Angst nur darum, weil es so sein muß und gar nicht anders sein kann. Selbst der gesündeste Mensch wird unruhig, wenn vor seinem Fenster ein Räuber schleicht. Ich werde oft von Aerzten behandelt,“ fuhr sie fort, sich in den Schoß blickend und verlegen lächelnd, „ich bin natürlich dankbar und leugne den Erfolg der Behandlung nicht; aber ich möchte einmal auch nicht mit einem Arzte, sondern mit einem nahen Menschen, mit einem Freunde sprechen, der alles verstünde und mich überzeugte, daß ich recht oder unrecht habe.“
„Haben Sie denn keine Freunde?“ fragte Koroljow.
„Ich bin einsam. Ich habe wohl meine Mutter, die ich liebe, und doch bin ich einsam. So hat sich einmal mein Leben gefügt… Die Einsamen lesen viel, aber sprechen und hören wenig; das Leben ist für sie ein Geheimnis; sie sind mystisch veranlagt
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/209&oldid=- (Version vom 31.7.2018)