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doch alles als richtig, nach festem Gesetz berechnet und aufgebaut.

Großmama pflegte alljährlich im Spätherbst nach Berlin zu fahren, um dort wohnende Freunde und Verwandte wiederzusehen und Weihnachtseinkäufe zu machen. Auch in diesem Jahr reiste sie hin und wohnte, wie gewöhnlich, in einem der großen Hotels.

Wie auf dem Lande, war auch in der Stadt das Wirken des großen Wandlers zu merken. Ganz neue Geschäftigkeiten hatten die Menschen, und wenn es auch nur war, daß solche strickten, die nie vorher ein Strickzeug in Händen gehalten hatten. Mit Müßiggang war eben plötzlich schlechtes Gewissen verbunden, und jeder suchte, wie früher vielleicht nach Zerstreuung, so jetzt nach Tätigkeit. Nicht jeder freilich fand die gerade für ihn geeignete, und hinter manchen Emsigkeiten mochte sich der Wunsch bergen, bemerkt zu werden, aber neben der Eitelkeit und Lächerlichkeit, die nun einmal Begleiterscheinungen alles Menschlichen sind, gab es doch eine überwältigende Fülle von rührenden Zügen völliger Uneigennützigkeit. Großmama fand sie auch unter den eigenen Bekannten, entdeckte staunend bei solchen, in denen sie keineswegs Arbeitsheroen vermutet hätte, nie geahnte Anpassungsfähigkeiten und Diensteifrigkeiten. Eigenschaften, die alle aus dem neuen Gefühl der Zusammengehörigkeit geboren waren, aus dem Bewußtsein, daß jeder jeden brauchte und sein Bestes beanspruchen durfte. Da gab es Frauen, die bisher hauptsächlich als Gesellschaftsgrößen gegolten und sich plötzlich Heiligen gleich offenbarten, die die

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)