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hatte, die aber in ihrer Kindheit den Menschen, als ein eben erst Vergangenes, noch ganz nahestanden. Hundert Jahre waren jetzt verflossen, seitdem ein russischer Großfürst in dieses Schloß gekommen war, um hier eine jugendliche Prinzessin zu umwerben. Und dort, in dem Mausoleum, am Sarkophag ihrer Mutter, hatte sie ihrem Bruder gestanden, daß der Bewerber ihr wohlgefiele. Ja, hier war recht eigentlich die Stätte, wo der Grund zu langer Freundschaft mit dem östlichen Reiche gelegt worden. Aber diese Freundschaft lag heute vernichtet in Scherben, und eben jetzt wehten draußen die Flaggen zu Ehren der Besiegung jener Macht. Welcher Wandel in Menschen, Anschauungen und Gefühlen, welch Erstehen neidvollen Hasses und Anwachsen unbeachteter Abhängigkeiten waren doch nötig gewesen, um daß gerade dieser Krieg überhaupt möglich werden konnte! – – Dann standen die drei in dem blaudämmernden Raume und schauten die weißen Marmorgestalten auf den vier Sarkophagen. Wo im Weltall mochte jetzt der Wesenskern, mochten die Seelen jener hier Dargestellten weilen? Und wenn sie von den Geschehnissen dieser Erde wußten, wie erschienen sie wohl vor ihrer höhern Einsicht? Ach, sicher verstanden die ins ferne Reich Gegangenen Zusammenhänge und Zwecke klarer als die noch hienieden Wandelnden, und was hier grausam-unverständlich und als fortwährendes Irren erschien, fand dort Deutung und Sinn. Großmama hielt fest an diesem Gedanken, der eine Hoffnung war, und, in der stillen Kapelle stehend, die so manche Träne gesehen, sann sie nach über Geschicke

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/64&oldid=- (Version vom 31.7.2018)