mit Ausnahme von Besuchen auf benachbarten Gütern, ununterbrochen dort.
Sie war aber nicht etwa allein mit ihren Eltern in Burkahnen.
Da gab es vor allem die vielen Letten, mit den blassen Augen und dem strohfarbenen, strähnigen Haar, mit den seltsam schwermütigen Weisen, die sie abends, nach getaner Arbeit, zum Klang von Rohrpfeife und Dudelsack sangen. Bis kurz vor Dorothees Geburt waren sie noch alle Leibeigene gewesene, durch den, preußischen Vorbildern nacheifernden, baltischen Adel dann befreit, zeigten sie aber noch ganz jene Unterwürfigkeit, die eine lange Vergangenheit der Knechtschaft ihrem Wesen eingeprägt hatte. In selbstgewebte Leinwand gekleidet, verbeugten sie sich ehrfurchtsvoll vor Dorothee und küßten den Saum ihres Kleides. Sie waren es, die für alles sorgten in Haus, Hof und Garten, auf deren Arbeitskraft die ganze Wirtschaft sich aufbaute. Dank ihnen konnten die deutschen Herren und Herrinnen ein Leben führen, wie es in den ganz fernen östlichen Ländern der Erde üblich, wo auch immer für jede Hantierung Wesen anderer Rasse dastehen, bereit den fremden Beherrschern des Daseins kleine Mühen und Lasten abzunehmen. Und Dorothees kränkliche Mutter brauchte sich wenig um ihr großes Hauswesen zu kümmern. Durch die lettische Wirtin ging da alles nach altem Herkommen und wie von selbst, ohne Prunk und sonderliche Eleganz, aber mit einer stets bereiten Gastlichkeit, einer gewissen breiten Behäbigkeit, der alles kleinliche Rechnen fremd war.
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)