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gab es in Dorothees Leben auch noch eine Reihe von Verwandten. Allerhand alte Tanten und Cousinen, die viel mehr Tugend als Schönheit oder irdische Güter besaßen, verbrachten gewohnheitsmäßig den Sommer im geräumigen Herrenhaus von Burkahnen; winters in Riga, Dorpat oder kleineren Kreisstädten lebend, schlossen sie im Frühjahr ihre Wohnungen ab, nachdem sie vorher alles darin wohl eingemottet, die Polstermöbel mit Überzügen vermummt und Bilder, Kronleuchter und Spiegel mit Gazehüllen gegen die Fliegen umwickelt hatten. Dann verteilten sie sich auf die reicheren Verwandten, die Güter besaßen, kamen zu zweien und dreien angefahren mit Koffern und Schachteln, denen sie Jahr für Jahr dieselben Kleider entnahmen. Von vergangenen Tagen sprachen sie gern mit dünnen Stimmen und meinten wehmütig, wie viel besser doch alles zu Zeiten Kaiser Alexanders gewesen, da sie selbst noch mit jungen Augen in die Welt geblickt hatten. Lauter alte Dämchen waren es, denen das Leben wohl nie seine besten Möglichkeiten geboten hatte, oder die sich diese doch irgendwie hatten entgleiten lassen – die ersten Menschen, an denen Dorothee den Stachel kennen lernte, den das Nichterlebte und Niebesessene bisweilen hinterläßt.

Die nächsten Nachbarn von Burkahnen waren ebenfalls Verwandte, die da auf einem kleineren Gute saßen. Einen Vetter Arnold gab es in dieser Familie, einen jungen Mann, der einige Jahre älter war als Dorothee und den sie, ohne viel darüber nachzudenken, als Eigentum und selbstverständlichen Teil ihres Lebens betrachtete – nicht viel anders als die Bäume, die

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/82&oldid=- (Version vom 31.7.2018)