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an Dorothees Eltern geschrieben, und von ihnen die Antwort erhalten, sie stellten ihrer Tochter die Entscheidung völlig frei. Tante Sonja hatte daraufhin bestimmt angenommen, daß es nun in wenigen Tagen zur Verlobung kommen würde, denn Dorothees Zögern hielt sie nur für mädchenhafte Ziererei, wenn nicht gar für absichtliche Koketterie, und sie hatte bereits in der Vorstellung all der Feste geschwelgt, die aus diesem Anlaß gegeben werden würden. In Petersburg herrschte in jenem Jahre ja überhaupt eine jugendlicher Liebe und Verlobungen holde Stimmung, denn die Vermählung der Großfürstin Marie mit dem Herzog von Leuchtenberg stand nahe bevor. In dem neu entstehenden Winterpalais sollte sie gefeiert werden. Es wäre doch gar zu reizend, Dorothee auch als Braut vorstellen zu können! Und noch einen Versuch machte daher Tante Sonja, die Nichte umzustimmen. „Du hast etwas Angst vor all dem Fremden in dem unbekannten Lande,“ sagte sie. „Das ist ja begreiflich, aber glaube mir, bist du erst mal dort mit Ercole, so wirst du nicht verstehen, wie du je einen Augenblick zaudern konntest. Wie viel Schönheit und Genuß sich aus unserem kurzen Leben schöpfen läßt, das lernt man erst dort im Süden! – Und“, setzte Tante Sonja hinzu, „wenn es dir wirklich anfänglich etwas schwer werden sollte, dich einzuleben, so bin ich ja gerne bereit, zu euch zu kommen, und dir bei deinen ersten Ricevimenti in Ercoles Stadtpalais zu helfen und vor allem deine Fêtes champêtres in dem Garten am Meere zu arrangieren.“

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/99&oldid=- (Version vom 31.7.2018)