alten fremden Mann, dem einzigen Verwandten, der bei allen Behörden umherlaufe und mit gerungenen Händen flehe, sie möchten ihm seinen Sohn und seiner armen Tochter ihren Bräutigam wiedergeben, und wenn sie das nicht könnten, so wolle er Gott bitten, daß die Türken Hamburg eroberten und an allen vier Ecken anzündeten. Dieser Sagenkreis um den Verschollenen erweiterte sich von Tag zu Tage.
Die Stillste bei all diesen Gesprächen war Gesa. Aber ihre Augen starrten groß und weit offen beim Zuhören, und wenn es an den dunkeln Fleeten vorbeiging, klammerte sie sich an den Arm einer Kameradin. Die wilde Male machte sich einmal den Spaß, in der Dämmerung plötzlich wie eine Katze hinter einer Heckentür hervorzuspringen, um sie zu erschrecken. Dies gelang ihr so gut, daß die Furchtsame fast in Krämpfe verfiel und sich stundenlang mit heftigem Weinen quälte. Ein zweites Mal, als ihr die Elster mit den verschnittenen Flügeln, die frei in der Druckerei umherlaufen durfte, unvermutet krächzend auf den Nacken flog, wiederholte sich dieser Anfall.
Seit dem Tage, da sich Gesa den Splitter in den Fuß getreten hatte, schien sie verändert. Ihre Backen hatten die weiche Rundung, die blumenhafte Frische verloren; die Augen lagen matt und schwarzgeringt in den Höhlen; nur wenn von dem Verschwundenen
Ilse Frapan-Akunian: Zwischen Elbe und Alster. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Leipzig 1908, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwischen_Elbe_und_Alster_Frapan_Ilse.djvu/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)