Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/101

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Ich wollte eben etwas gereizt antworten, als Miß M. das Gespräch wohlweislich auf naturwissenschaftliche Gegenstände lenkte.

„Was halten Sie für die Ursache der Erscheinung, daß die Sonne ihre Stellung unserer Erde gegenüber fortwährend verändert?“ fragte sie plötzlich mit einer raschen Gedankenwendung, die mich jedoch nicht unvorbereitet fand, denn ich antwortete ebenso rasch zu ihrem sichtlichen Staunen folgendermaßen: „Die Ursache der Veränderung in der Stellung der Sonne zu unserer Erde besteht darin, daß die Sonne zwei Bewegungen hat, und zwar eine um ihre eigene Achse, welche sie in 26 Tagen vollbringt, während ihre zweite innerhalb des Planeten-Systems eine weit kürzere ist als die unserer Erde, weshalb sie immer weiter östlich in die Zeichen des Thierkreises rückt. Das ist die Ursache, warum sie sich zur Zeit der Nachtgleichen nicht mehr im ersten Grade des Widders und der Waage, wie auf der Ptolomäischen Himmelskugel zu Rom angegeben ist, sondern ziemlich weit in den Zeichen des Stieres und Skorpions befindet. Da nun die Bewegung aller Planeten von Westen nach Osten geht und diese nicht gleichzeitig mit der Sonne ihre Bahn vollenden, so haben alle Wendepunkte, wie der Pol, die Tag- und Nachtgleichen, die Sommer- und Winterwenden eine rückgängige Bewegung, weshalb auch die unbeweglichen Sterne immer mehr östlich unserer Erde gegenüber erscheinen. Daher kommt es, daß alle Constellationen ihre Plätze, welche ihnen von den alten Astronomen angewiesen waren, verändert haben; Sirius oder Canicula ist daher nicht mehr der Herold unerträglicher Hitze wie zur Zeit des Hippokrates und Plinius, die uns erzählen, daß zur Zeit seines Erscheinens das Meer siede, sondern kühler Morgen und Abende, und in fünf- oder sechstausend Jahren wird er der Vorbote des Frostes sein. Dieses ist die Ursache der fortwährenden Veränderung der Stellung der Himmelskörper einander gegenüber, was mit Beziehung auf unsere Erde und ihre Stellung zur Sonne speziell in 71 Jahren 19 Tagen und 12 Stunden einen Grad beträgt, und durch den ganzen Thierkreis 25,791 Jahre.“

Am nächsten Morgen reisten wir über Mainz nach Frankfurt a. M. Wir bemühten uns, den Rhein so lange als möglich im Auge zu behalten, und als er endlich doch verschwand, riefen wir ihm einen wehmüthigen Abschiedsgruß zu. Dieser schönste aller Ströme bezaubert das Herz wie das Auge, wir können uns nur mit Wehmuth von ihm trennen,