Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/14

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Erstes Kapitel.




Indem ich[WS 1] mein Leben mit seinen interessantesten Schicksalen zu schildern beginne, erkläre ich zuvörderst, daß ich nur Wahres und wirklich Erlebtes mittheilen werde. Hierbei hoffe ich auf Theilnahme und Interesse, denn wer schaute nicht mit klopfendem Herzen dem tapfern Kampfe eines Schiffes mit dem stürmischen Meere zu? wer zitterte nicht bei seinem Versinken zwischen den thürmenden Wellen, wer begrüßte nicht sein Wiederauftauchen mit Entzücken? Und sollte der Kampf eines muthigen Menschen mit seinem Schicksale weniger interessant sein? Sagte doch das Alterthum, dies sei ein Schauspiel für Götter.

Mein Vater war Großhändler in einer der reizendsten Städte …ens[WS 2], verlor aber durch Napoleons Continentalsperre fast sein ganzes Vermögen, und dieses große Unglück brachte das noch größere des ehelichen Unfriedens über ihn. Meine Mutter, die Tochter eines wohlhabenden Gutsbesitzers, besaß nämlich nicht die Eigenschaften, welche uns über das Unglück erheben; sie gab sich der Verzweiflung hin und verfiel in eine Art von Geisteszerrüttung, die zuletzt zur halben Trennung der Gatten führte. War andererseits mein Vater von jeher sehr religiös gewesen, so wurde er es im Leide noch mehr; ja, seine Frömmigkeit wurde Schwärmerei, als er in die Gemeinde des später in D** berüchtigt gewordenen evangelischen Pfarrers St.[WS 3] gerieth, welcher in den 1830r Jahren nach Amerika auswanderte. Ich lebte mit Mutter und Geschwistern, zwei Brüder und zwei Schwestern, auf dem Gute der Großeltern, von wo uns mein Vater nach und nach, sobald wir höherer Bildung bedürftig wurden, nach D**[WS 4] brachte. Ich kam mit Antritt meines elften Jahres zu seiner ältesten Schwester[WS 5], einer ebenfalls armen, aber sehr gebildeten und rührigen Person, welche

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rufname Marie
  2. Sachsens, nach dem Bürgerbuch 1807 war er Kaufmann in Pirna
  3. Martin Stephan (Geistlicher)
  4. Dresden
  5. Sophia Helene Friedericke Steinmann, damals ca. 51 Jahre