Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/140

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ihrer Rache mit einem Ausdruck, der ihr das Aussehen einer Schlange gab, die auf ihre Beute lauert. Natürlich vergalt Fanny diesen Haß mit gleicher Münze und weihete mich in so manches Familien-Geheimniß ein, was sie außerdem kaum würde gethan haben. Sie behauptete, daß ihre Tante stets ihr Leben zu untergraben suchte, daß ihr Hauptzorn aus dem Mißlingen dieses höllischen Planes entspringe, weil dadurch ihre Speculationen auf ihr großes Vermögen zu Wasser würden. So viel ich mir auch Mühe gab, Fanny von diesem Gedanken abzubringen und ihr Vertrauen gegen ihre Tante einzuflößen, so blieb doch dieses Bestreben bei den fortgesetzten Mißhandlungen der letzteren erfolglos; ja, ich selbst mußte der Lady Maria bei fortgesetzter Beobachtung derartige Mordgedanken zutrauen.

Neben uns wohnte Lord A., der Justizminister von England, mit dessen Nichten, den Fräuleins S., Jane und Giorgina W. sehr vertraut waren und welche, wie auch Louise C., ihre Cousine, Tochter des Lord C., Kanzlers von England, zu unseren täglichen Morgenvisiten gehörten. Erstere waren sehr schön, aber stolz und naseweis, Letztere weniger schön, aber ein Muster von Liebenswürdigkeit und Bildung, welches alle Herzen, die sich ihr näherten, für immer fesselte. Fräulein C. zeigte mir stets eine große Vorliebe, und so oft die Fräuleins W. zum Gabelfrühstück oder zum Thee von ihr eingeladen waren, erstreckte sich ihre Einladung stets auch auf mich. Bei diesen Gelegenheiten lernte ich mehrere der bedeutendsten Charactere der Gegenwart kennen, aber auch einige der unbedeutendsten, darunter die Gouvernante der jüngeren Kinder Lord C.’s, Fräulein G. aus L., eine alte, kleine, dürre, fahrige Person mit einem widrig grinsenden Gesicht und triefenden Augen, die aber durch Schmeichelei und eine unverschämte Parade von Anhänglichkeit, Pflichteifer und Energie die gute Meinung ihrer Vorgesetzten zu erschleichen wußte. Auch gegen mich war sie freundlich, aber wenn ich sie unerwartet anblickte, sah ich jedesmal, mit welchem Ausdruck von Neid und Haß sie auf mich lauerte. Allerdings war ich in der Blüthe der Jugend, mein Gesang erregte Furore, und meine Sprachkenntnisse waren der Art, daß Franzosen, Italiener, Spanier und Engländer mich für ihre Landsmännin hielten, und in Beziehung auf Kenntnisse nannte man mich nur die lebende Encyklopädie, während Fräulein G. nur ein echtes Deutsch-Französisch sprach und von Talenten keine Spur besaß. Kein Wunder, daß sich die alte Person ärgerte,