Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/139

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schlechten Tisch geführt hätte, im Gegentheil! aber während die Andern beim Frühstück, welches wir um acht Uhr gemeinschaftlich einnahmen, Eier, Schinken, Fische und gerösteten Speck aßen, mußten Fanny und ich uns mit einem Butterbrod begnügen, wozu uns Lady Maria die letzte und gesündeste Auflage des Thee’s reichte, die dem Spülicht denn doch zu sehr ähnelte. Um ein Uhr dinirten wir zwei Gastronomen, während die Uebrigen ihr Gabelfrühstück verzehrten. Nachdem die antikisirende Lady nach englischer Sitte Jedem vorgelegt hatte, häufte sie auf unsere Teller alle Knochen, welche sie in Reserve hatte, wozu uns ein paar Salzkartoffeln als Einhüllung dienten, und dies war unser ganzes Diner.

Um fünf tranken wir Thee im Schulzimmer, welchen Lady Maria mit ihren Töchtern stets durch ihre Gegenwart verherrlichten. Glücklicherweise waren alle drei zu gescheidt, um sich durch hochfahrende Airs oder abgeschmackte Prätensionen lächerlich zu machen; vielmehr war ihr Umgang wie ihre Unterhaltung ungemein anziehend und interessant, was mich ihren Egoismus und Geiz noch einigermaßen übersehen ließ. – Um sieben Uhr speiste die Familie, von welcher Mahlzeit Fanny und ich gänzlich ausgeschlossen waren, wogegen wir um neun Uhr ein Souper erhielten, welches nicht für eine Person hinreichend war.

Nach Tische begaben sich die erwachsenen Familien-Mitglieder gewöhnlich in Gesellschaft, denn es gab kein Fest bei Hofe oder unter der Nobility, dem sie nicht beiwohnten.

Wer die Familie kannte, der wußte auch, daß die Lady ihre Nichte grimmig haßte, denn sie kränkte und demüthigte sie bei jeder Gelegeneit. Nachdem sie z. B. mehrere Nächte nacheinander ihr antik aufgeputztes Gerippe auf Bällen herumgeschleppt hatte und vor Ermüdung auf den Divan sank, sagte sie eines Tages: „Ich habe kein Glück mit meinen Töchtern, trotzdem sie schön, unterrichtet und geistreich sind und ich mich geradezu aufreibe, um sie unter die Haube zu bringen! während unbedeutende und sogar häßliche Mädchen ihnen die Freier vor der Nase wegfangen, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil sie Geld haben. Gebt einmal Acht, ob Fanny, diese Vogelscheuche, nicht einen Mann kriegen wird, noch ehe sie hinter den Ohren trocken ist, obwohl sie häßlich, dumm und ordinär ist!“

Während die edle Lady ihrem vollen Herzen durch diese und ähnliche Ergießungen Luft machte, heftete sie ihre Augen auf den Gegenstand