Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/144

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Die andere Person dieses Drama’s, über welche ich zu berichten habe, ist Frau N., die als Fräulein R. gern figurirte. Als solche trat sie in Lady Georgiana’s Dienste, und war so mittheilend, daß sie mir unaufgefordert ihre Lebensgeschichte erzählte, der ich eine Skizze ihrer Persönlichkeit voranschicke. Fräulein R. war sechsunddreißig Jahre damals alt, etwas klein von Statur, welche ein starker, stellenweise kahler Kopf zierte, der wieder mit kleinen listigen, sehr beweglichen Augen, einer langen, spitzen, nach der Wurzel breiten Nase, einem breiten aufgeworfenen Munde, gelben, hervorstehenden Zähnen und gelbem, runzeligen Gesicht geschmückt war, auf welchem eine große haarige Warze wie eine vertrocknete Himbeere thronte. Sie hätte für eine umgewandte Mediceische Venus gelten können, indem alle Körpertheile, welche bei dieser convex sind, bei ihr concav waren. Diese etwas zweideutigen Reize hatten jedoch ihrer Aussage nach so manches Männerherz in Bande gelegt, und sie sprach mit Begeisterung von jenen Momenten, in welchen die Liebe über ihre Schwachheit gesiegt, und von dem Dank, den ihr die Beglückten gezollt. – Aber dieses Geschöpf war nicht nur unsittlich, sondern auch schamlos und gemein, denn ungeachtet meines deutlich ausgesprochenen Ekels, verfolgte sie mich dennoch mit den widrigsten Vorstellungen des Lasters in der niedrigsten Sprache. Sie theilte mir unter anderem mit, daß sie unglücklich verheirathet sei, mit dem Diener einer Familie S., wo sie Erzieherin gewesen, eine Verbindung gehabt und ihren Liebhaber durch Vorspiegelung eines Besitzes von einigen hundert Pfund bewogen habe, mit ihr vor den Altar zu treten. Bei dieser Gelegenheit habe ihre jüngere Schwester das seltene Glück genossen, zugleich Brautjungfer und Taufpathe zu sein, indem jener feierliche Moment Herrn N. zugleich zum Gatten und Vater gemacht habe. Hatte nun dieser auserwählte Sterbliche gemeint, sich jetzt in den Besitz des eheweiblichen Einbringens zu setzen, so gerieth er über die Entdeckung seines Irrthums in heftige Gemüthsbewegung, in welcher er das Faustrecht gebrauchte; Madame war in Irrsinn verfallen, in Bedlam eingesperrt und nur durch die inspizirende Commission wieder daraus befreit worden, indem ihr Gatte diesen Wittwensitz ihr auf Lebenszeit zugedacht hatte. Nach diesem fatalen Intermezzo war diese neue Ariadne zu ihrem Gewerbe zurückgekehrt, hatte es aber für besser gehalten, weder ihrer Ehe noch der Familie zu gedenken, in welcher sie ihren ungetreuen Theseus hatte kennen lernen. Wirklich war