Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/164

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sei zum Unglück geboren, so daß die Idee des Selbstmordes in mir mehr und mehr Platz ergriff. In jenen schrecklichen Stunden habe ich den Werth des Glaubens an die Weisheit, Liebe und Allmacht eines persönlich und unmittelbar die Schicksale der Menschen regierenden Gottes erst recht erkennen lernen. Er allein hat mir die Kraft verliehen, den Kampf mit dem Leben wieder auszunehmen, wo der Horizont sich von allen Seiten umwölkte. Hier und da hörte ich Anspielungen auf Lady N., Signora P., Lady W. und andere; wenn ich ihren Bekannten begegnete, so wendeten sie sich weg von mir oder warfen mir mir geringschätzige Blicke zu. Meine Kleinodien und mein Gold hatten mir Diebe geraubt, an meiner Ehre fraß der Rost der Verleumdung und mein Geist glich einem verlöschenden Lämpchen, nur mein Glaube war mir geblieben, und er zog aus den Wirren und Stürmen rings um mich her das Schiff meines Lebens wie ein guter Pilot in den Hafen himmlischer Ruhe. Ich hatte Hume, Voltaire und Strauß gelesen, aber nicht einer ihrer Aphorismen vermochte mich zu trösten oder zu erleuchten. O, ihr Philosophen, was gebt ihr denn dem Menschen, wenn ihr ihm seinen Glauben, seine Religion wegerklärt habt? Die Freuden der Wollust? Ein keusches Herz verabscheut sie. Die Freiheit, gegen Gottes Wort in offenem Widerspruche zu leben? Ein trauriges Vorrecht, das Jeder sich selbst geben kann. Die Natur? Ja, die Natur! hier fühlte ich mich dem Weltgeist wirklich nahe, aber mich lehrte er nicht, daß Atome sich mit Atomen vereinen und daß die Zeit das schaffende Prinzip sei, sondern er rief: das schaffende Prinzip bin ich, darum glaube, liebe, hoffe! rief er mir zu.

Die London-Season ging zu Ende, und schon fingen meine Connexionen an, die Stadt zu verlassen. v. T.’s Nachrichten wurden jedoch immer noch nicht befriedigender, weshalb ich den Entschluß faßte, wieder in Condition zu treten. Zufällig – wenn ich mich bei meiner Anschauungsweise so ausdrücken darf – ward ich damals mit einer alten Dame, Namens St., bekannt, welche nach Madeira reisen, dabei ihre in Gibraltar verheirathete Tochter besuchen wollte und eine Gesellschafterin suchte, welche der spanischen und portugiesischen Sprache mächtig wäre. Nichts war natürlicher, als daß ich mich um dieses Engagement bewarb, weil es mir die Gelegenheit bot, Lissabon zu besuchen und mich von den Verhältnissen zu überzeugen, welche mich in der peinlichsten Ungewißheit und Spannung erhielten. Ich hatte zwanzig