Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/165

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Monate unter Leiden und Prüfungen zugebracht, deren Prophezeiung ich für eine Unmöglichkeit gehalten hätte, für ein Unding, daß sich niemals erfüllen könne. Viele meiner Freunde hielten mich für betrogen, während andere sich von mir getäuscht glaubten. Ehe ich jedoch einen Schritt that, dessen Folgen mein vom Sturm der Ereignisse befangener Verstand nicht zu ermessen vermochte, theilte ich den Entwurf dazu meinem Vater mit und gab die Ausführung seinem Rathe anheim. Da dieser zustimmend ausfiel, so einigte ich mich mit Mistr. St.

Da die Marquise von S. mit ihrer Familie während der Season wieder in London war und ich von ihnen viele Beweise achtungsvollen Wohlwollens auf’s Neue genossen hatte, sie auch meine Verlobung früher gebilligt hatten, so theilte ich ihnen mein Vorhaben mit, worauf sich die edle Dame sogleich erbot, mir ein Empfehlungsschreiben an ihre Cousine, Lady H. de W., die Gemahlin des englischen Gesandten in Lissabon, mitzugeben. Sie war die Tochter des Herzogs von P., dessen Familie früher so intim mit Lady N. gewesen war, und die Empfehlung doppelt schätzbar, weil sie einen Beweis des guten Andenkens lieferte, in welchem ich bei der Familie S. stand, wie auch wegen des Schutzes der hohen und einflußreichen Dame, den sie mir sicherte. Nachdem ich also meiner Beschützerin und ihrer Familie meinen Dank gezollt, worauf ein herzlicher Abschied folgte, verließ ich, von den Glückwünschen dieser und einiger anderer Freunde begleitet, London und England, indem wir uns zu Anfang des Monats August in Southampton einschifften.

Sobald unser Gepäck in Sicherheit war und es nichts mehr zu besorgen gab, ließ ich mich neben Mistreß St. auf dem Verdecke in einem Zustande geistiger und körperlicher Abspannung nieder, der an Lebensmüdigkeit grenzte. Mich kümmerte nicht das bunte Gewühl und Treiben, selbst das Meer und die herrliche Küste vor mir konnten mich nicht interessiren; still und in mich gekehrt saß ich da und brütete über die Tragweite meines Vorhabens und seiner Veranlassung. Jahrelange Ungewißheit über das eigene Schicksal wie über das der Theuersten ist sicher das martervollste Loos des Menschen, und viel schlimmer als der Tod. Ich empfand es nur zu lebhaft! Nicht daß ich das geringste Mißtrauen gegen v. T. gehegt hätte, seine Liebe war allzusehr Vergötterung, sein Betragen allzu würdevoll gewesen; aber es konnten ja Verhältnisse obwalten, die er mir aus Liebe verschwieg und wodurch er mich der Fähigkeit, zu urtheilen und zu handeln, beraubte. Um nun