Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/207

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„O, es giebt noch größere Curiositäten, erwiederte Dolores. Ist es zum Beispiel nicht das Tollste, einen Menschen anzubeten, der uns verräth, dem bittersten Unglück preisgiebt?“

Bei diesen Worten führte sie einen Dolchstoß in die Luft und dicht darauf fing sie heftig zu weinen an.

Wir verließen das Bad mit geschlossenen Mantillen, denn wir bemerkten, daß unser Verfolger auf uns wartete; er ließ auch nicht von uns, sondern begleitete uns bis an’s Hotel, vor welchem er stehen blieb und sehnsüchtig durch das Gatter blickte.

Es blieb uns noch viel zu sehen, aber nur wenig Zeit übrig; indessen besuchten wir doch nur das Museum, das früher ein Kloster war und jetzt als Akademie dient. Wir sahen hier sehr schön geschnitzte Figuren, Statuen, Reliefs und Gemälde; bewunderungswürdig schienen uns die Schnitzereien an den Chorstühlen der ehemaligen Karthäuser. In der Kirche zeigte man uns auch zwei lebensgroße Statuen, welche von dem berühmten Alonso Cam herrühren sollen und deren eine den leidenden Christus, die andere den heiligen Hieronymus darstellt. Sie sind wie alle spanischen Bildnereien bis zum 17. Jahrhundert aus gebranntem Thon und gemalt; aber für mich hat die Polychromie etwas so fürchterliches und abstoßendes, daß ich an diesen Produkten niemals werde Geschmack finden können. Daß die künstlerisch gebildeten Griechen daran noch Gefallen haben konnten, kann ich mir nur dadurch erklären, daß sie eigentlich doch noch nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubten und sich noch zu keiner Beschauung abstrakter Wesen emporgehoben hatten. Wären sie Metaphysiker gewesen, so hätten sie die Polychromie gänzlich verworfen. Die Natur auf diese Weise nachzuahmen, ist nun einmal nicht möglich, diese Art Täuschung ist geeignet, die Phantasie zu zerstören, nicht zu erregen; diese schlingt sich um den Marmor, um das Metall, und belebt sie wie Pygmalion, gießt Leben und Farbe über sie aus. Bei den Römern, welche schon eine metaphysischere Weltansicht hatten, wie wir aus Cicero, Seneca, Plinius und Boethius sehen, fand die colorirte Plastik wenig Nachahmung, obgleich sie sich der griechischen Kunstwerke als Muster bedienten. Schon die Wachsfiguren stoßen ab, obwohl sie zumeist bekleidet sind.

Die oberen Theile des Museums und die nach dem Hofe offenen Corridors sind ganz mit Bildern angefüllt, deren Einzelbeschreibung außerhalb meiner Absicht liegt. Indeß sei es mir gestattet, das größte