Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/206

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Ich fühlte mich innerlich beschämt und konnte dem guten Kinde nichts sagen, als das englische Sprüchwort: ther are as good fishes in the sea as ever came out of it – es giebt so gute Fische im Meere als je herauskamen – und sie auffordern, den Undankbaren zu vergessen. Allein sie versetzte mir, daß mit der Vernichtung dieser Liebe ihr besseres Selbst verloren gehen und das Uebriggebliebene sich wie Nachguß zum Extract verhalten würde. Sie war also unglücklicher als ich. Oft hatte ich früher den Ausspruch jenes französischen Schriftstellers – daß der Mensch eine stille Genugthuung bei der Nachricht von fremdem Unglück empfinde – als eine abscheuliche Verunglimpfung der menschlichen Natur verachtet; aber jetzt fand ich, daß er doch einen Sinn hat. Nicht als ob ich mich über den Schmerz dieses guten Kindes gefreut hätte, sondern ich fand, daß man einfach den antiken Satz darin finden könne: solatium est miseris socios habuise malorum – es ist der Trost der Unglücklichen, Unglücksgefährten zu haben. Das ist eine ewig junge Wahrheit.

Ich lud Dolores ein, mit mir ein Bad zu besuchen, wozu sie sich unter der Bedingung bereit zeigte, daß ich eine Mantille von ihr tragen solle. Natürlich schlug ich dies nicht ab, und als wir uns angekleidet, fand sie, daß mich das spanische Costüm trefflich kleide. Wir verglichen uns im Spiegel, eine lobte die andere als „hermosisima", jede lehnte den Preis der Schönheit ab, und jede wünschte doch den Paris herbei, der ihr ihn reichen möchte. 0 vanitatem omnium vanitatum! Kaum hatten wir die Straße betreten, als uns ein schöner Jüngling begegnete, stutzte und uns folgte, bis wir am Eingange des Bades angekommen waren. Dolores drückte mehrmals meinen Arm und ich konnte genau bemerken, wie ihr andalusisches Blut rascher kreiste, denn ihre Hand zuckte mehrmals an meinem Arm, während eine sanfte Röthe ihre zarten Wangen überflog. Ob dies Zorn oder Liebe war, weiß ich freilich nicht, als wir uns aber entkleideten, erfuhr ich, wie nahe diese beiden Extreme in der Spanier Brust bei einander wohnen. Ich sah nämlich mit Erstaunen, daß Sennora Dolores einen ganz niedlichen Dolch im Strumpfbande stecken hatte, um dessen Bestimmung ich nicht umhin konnte sie zu befragen.

„Es ist so Mode bei uns, sagte sie naiv, und wird hin und wieder das Messer offensiv und defensiv gebraucht, aber eigentlich ist es nichts als Koketterie.“

„Seltsame Koketterie, lachte ich, mit unsichtbaren Dingen sich zu putzen!“