Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/23

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Sie richtet? Das Erste ist, daß die Frau Gemalin eifersüchtig und die Fräulein Töchter neidisch werden. Begegnen Sie diesen Herren mit Zurückhaltung und Gleichgiltigkeit, so findet man Sie desto reizender und anziehender, ihre Augen folgen Ihnen überallhin, und ihr ganzes Wesen verräth trotz aller Anstrengung des Verstellens die Flamme, die sie nähern. Jetzt wird die Frau wüthend, sie hasset, sie verfolgt Sie und hetzt Ihnen ihre ganze Umgebung auf den Hals. Und weil sie sich ihrer Eifersucht schämt und ihr die Ehre ihrer Familie am Herzen liegt, so beschuldigt sie Sie der Coquetterie, der Männerverführung, und schickt Sie gemißhandelt, beschimpft, entehrt aus dem Hause. Die Männer, denen Sie nicht zu Willen waren, werden Ihre größten Feinde, und um die erzürnte Ehehälfte zu versöhnen, hängen sie Ihnen Schmach an, woran jene noch gar nicht dachte. Eine junge schöne Gouvernante wird in der Familie, wo sie Segen zu stiften hoffte, wie ein Zankapfel betrachtet, wenn sie nicht von Eltern und Freunden beschützt wird; und dann kann sie darauf rechnen, daß ihr überall Feinde aus der Erde emporwachsen. Wer in diesem Fache Glück machen will, muß charakterlos und gleißnerisch sein, darf keine Meinung, keinen Grundsatz haben und muß sich zum Schlechtesten hergeben, wenn es von ihr verlangt wird, kurz, ihre Karten nach allen Seiten hin nach Wunsch zu spielen verstehen und vor allen Dingen nie den Männern gefallen, weil jedes Weib die Gunst der Männer über Alles schätzt. Ich kann aus Erfahrung[WS 1] sprechen, denn ich bin selbst Erzieherin gewesen und sehe als Agentin meine früheren Erfahrungen an Herrschaften wie Gouvernanten täglich bestätigt.“

Ich konnte gegen die Stimme einer so erfahrenen Frau nichts einwenden und meine Neigung zum Künstlerleben wuchs in demselben Maße, wie meine Abneigung gegen mein Fach.

„Sie kennen meine Lage, Madame, sagte ich, diese fordert eine schleunige Entscheidung; wenn ich einer Anstellung am Theater gewiß wäre und die Versicherung hätte, daß ich dazu taugte, so würde ich meinen Vater dafür zu gewinnen suchen.“

„O, mein Vetter wohnt hier gegenüber, setzen Sie sich an’s Piano und singen Sie ihm etwas vor! Ich will ihn sogleich holen lassen,“ sagte Madame D.

Ich gehorchte nicht ohne Zagen und fing an zu präludiren, worauf ich Beethovens Arie: „Als mir noch die Thräne der Sehnsucht nicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. im Original Erfahfahrung