Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/231

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wir manchen schönen Zug des spanischen Charakters, wie so manches Familien- und Sittengemälde zu beobachten Gelegenheit bekamen. Wir bestiegen auch eines Nachmittages den Gipfel der Silla del Moro, wo wir auf eine Menge Höhlen stießen, von denen die Granadiner behaupten, daß sie als Gräber für ihre Könige gedient hätten. Einige behaupten wieder, es seien Behälter zur Aufnahme des Regens gewesen. Ferner sieht man hier die Trümmer der Verschanzungen, welche die Franzosen 1808 anlegten. Dieser Punkt bietet eine der großartigsten Fernsichten der Welt dar, wie die Reisenden behaupten, und wenigstens ich kann mir nicht verstellen, daß sie übertroffen werden könne. Auf einer Seite entrollte sich das majestätische Panorama der Sierra Nevada, deren blendende Schneekuppen in der glühenden Abendsonne alle Farben des Regenbogens spielten und deren Prismen gleich Diamantenkronen auf ihren Häuptern strahlten. Gerade zu unseren Füßen lag im rothen Abendscheine der Gineraligh mit seinen dunkeln Cypressen- und Granathainen, deren glänzende Blätter von flüssigem Golde überflossen schienen. Tiefer tauchten die im Schatten ruhenden Thürme der Alhambra auf, wie Riesen hervorragend aus dem verschwimmenden Häusermeere von Granada, um dessen Kuppeln, Thürme und Dächer sich ein weicher, durchsichtig-violetter Schleier wob, der in großer Ferne allmälig in helles Rosenroth überging. Dann folgten die ebenen Fluren der Vega, aus deren smaragdenen Olivenwäldern und Gärten zahllose Gehöfte, Villen, Schlösser und Kirchen glühend roth wie brennende Fackeln hervorleuchteten; am äußersten Horizonte, der in Abendroth flammte, waren diese Gefilde von den himmelblauen goldumsäumten Felsenriffen von Illora und Maclin umschlossen. Zur Rechten öffnete sich die ganz in Schatten versenkte Schlucht des Darrothales, dessen gegenüberliegende Hügel alle Nuancen von Violett spielten, bis sie am Fuße in Schwarz endeten. Links liegt das lachende Thal des Jenil mit seinen grünen Weinreben und schattigen Wäldern. Als die Sonne schon hinter den schwarzblauen Kegeln der Sierra Elvira versunken war, der Gineraligh, Granada und die Vega schon in die Schatten der Dämmerung gehüllt lagen, erschien der höhere Theil des Schneegebirges noch in hell violetten Tinten, die je höher desto purpurner und glänzender wurden, bis die Spitzen in das glühendste Dunkelroth übergingen. Allmälig verwandelte sich auch dieses in Rosenroth, dann in Violett, und plötzlich lag die ganze Sierra in Nacht verhüllt, und die ernsten Berghäupter traten nur