Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/257

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„Ich stehe ganz zu Ihren Diensten, Madame, aber darf ich Sie fragen, wozu?“

„Sie wissen, daß mein Bruder Julius ernste Absichten auf Sie hat, und so hat er mich beauftragt, mit Ihnen deswegen zu sprechen und Sie offen zu fragen, ob er Ihnen seine Hand anbieten darf?“

„Aber warum fragte er mich nicht selbst? das wäre ja das Einfachste und Kürzeste?“

„Wenn wir befriedigende Auskunft über Sie und Ihre ganzen Verhältnisse haben werden, dann erst wird er mit Ihnen allein darüber sprechen.“

„So werde auch ich jene Frage dann erst beantworten. Vor Allem muß ich aber darauf aufmerksam machen, daß ich älter bin als er und schon einmal verlobt war. Auch weiß ich recht gut, daß Ihr Bruder eine ganz andere Verbindung schließen kann als mit einer armen Erzieherin, und glauben Sie mir, sein Glück liegt mir mehr am Herzen als das meinige. Uebrigens bin ich zu sehr an das Unglück gewöhnt, um noch auf Glück zu hoffen.“

Als wir nach Hause kamen, war es schon spät, man brachte mir mein Abendessen wie gewöhnlich auf mein Zimmer und ich sah die Familie an jenem Abende nicht mehr. Am anderen Morgen trat Julius wie gewöhnlich in das Schulzimmer, aber aus seinem Erröthen errieth ich, daß er den Inhalt jenes Gespräches bereits kannte. Ich leugne nicht, daß die Zartheit und Innigkeit seiner Neigung ihre Wirkung auf mich nicht verfehlte, und kein weibliches Wesen hätte unter ähnlichen Umständen sich ihr entziehen können. Es würde mir jedoch nicht anstehen, die zahllosen Demonstrationen eines Liebenden zu schildern, da dies ohnehin Dinge sind, deren Ausdruck wohl dem Dichter, weniger demjenigen zusagt, welchem sie galten. Dagegen vermag ich ein Anzeichen nicht mit Stille zu übergehen, was mir die bevorstehende tragische Katastrophe unverkennbar ankündigte. Eines Nachmittages, als ich mich in meinem Zimmer ankleidete, um mit meinen Eleven auszugehen, hörte ich hinter mir in nächster Nähe einen so gellenden Glockenschlag, daß ich heftig zusammen fuhr und unwillkürlich einen Schrei ausstieß. Bei näherer Untersuchung sah ich, daß ein starkes und leeres Wasserglas auf meinem Waschtische wie mit einem Messer von seinem Boden abgeschnitten war. Obgleich mir die physikalische Ursache, warum Glas von selbst zerspringt, nicht unbekannt war, so fand ich doch die Art und Weise,