Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/256

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Schwester erregte, denn meine Stimme erregte stets glänzenden Beifall und Julius’ Triumph darüber war leider zu sichtbar. Oft sangen wir auch Duette, in welcher seine wirklich schöne Stimme unter der Fülle mächtiger Gefühle leise zitterte, während sein Blick mit beängstigender Consequenz den meinigen suchte. Als bald nach unserer Ankunft in W.-H. auch Cor und die Familie G.… zum Besuche erschienen, wußte Mistreß R. die Einrichtung immer so zu treffen, daß ich mit ihren Brüdern wie mit G. nur bei Tische zusammen traf. So waren ein paar Monate verflossen, als eines Tages nach der Mahlzeit Madame mich einlud, eine Spazierfahrt mit ihr zu machen. Ich stutzte über diese ungewohnte Verbindlichkeit, aber sie empfahl mir Eile, weil der Wagen gleich vorfahren werde. – Nach einigen Minuten saß ich neben Herrn und Frau R. im Wagen, jener fuhr, und außer uns war Niemand gegenwärtig; meine Bemerkungen über die Gegend beantwortete sie einsilbig, kurz ich ersah aus allem, daß sie ein Colloquium vorhatte, weshalb ich schwieg.

Nach einer Weile fing Frau R. folgendermaßen das Gespräch an: „Wie lange sind Sie denn schon in England, Fräulein?“

Diese Frage verursachte mir eine unangenehme Ueberraschung, weil ich auf Rath der Mistreß E. wie aller meiner Freunde meinen fünfjährigen Aufenthalt im Hause der verrufenen Familie N. nie erwähnt hatte. Ich antwortete daher, daß ich anfangs ein paar ungünstige Engagements gehabt habe, weshalb ich mit Genauigkeit die Zeit nicht angeben könne. Wäre meine jetzige Gebieterin eine edeldenkende und gebildete Frau gewesen, so hätte ich offen und vertrauensvoll mit ihr über meine bisherigen Verhältnisse sprechen können; aber welche Auffassung durfte ich von dieser gemeinen Seele erwarten?

„Wer waren Ihre Eltern und in welchen Verhältnissen lebten sie?“ war die zweite Frage.

„Mein Vater war Großhändler, verarmte später und wandte sein Weniges auf die Erziehung seiner Kinder.“

„Waren Sie in Portugal?“

„Ja, und auch in Spanien.“

„Sie werden wissen, aus welchem Grunde ich Ihnen diese Fragen vorlege und deshalb entschuldigen, wenn ich Sie um die Adresse Ihrer Familie ersuche.“