Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/295

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Wunsch zu gefallen, nicht der zu imponiren aussprach, so gab er dadurch Veranlassung zu heiteren Scherzen, nicht aber zu Demüthigungen. Diese Folgerungen konnten weder für Frau M. noch für D. schmeichelhaft sein, allein Beide ertrugen sie mit einer diplomatischen Unverletzlichkeit. Mir fiel bei dieser Gelegenheit Frau M.’s Bild ein, und ich fragte deshalb, wenn und von wem dasselbe gemalt sei? Frau M. nannte den oben erwähnten Londoner Künstler und sagte, es sei vor zwei Jahren gemalt worden. Dann fragte sie mich, ob ich sie getroffen finde? Ich hielt dieses Porträt mehr für eine Satyre als für eine Schmeichelei und antwortete kurz: „Schrecklich getroffen!“

Herr M. gab sich viel Mühe, um sich fesselnd, ja bezaubernd zu machen, und ich bestrebte mich vergebens, seinen verführerischen Blicken auszuweichen. Von jetzt an erbat sich Frau M. meine Gesellschaft regelmäßig für den Abend, welcher mit Soupiren, Trinken und Obscönitäten ausgefüllt ward. Je tiefer ich erröthete und je verlegener ich ward, desto derber wurden die Späße, und selbst Frau M. gab sich alle ersinnliche Mühe, meine Schamhaftigkeit zu ertödten. Unter anderem erzählte sie, daß ihre Mutter, Mistreß N., während des Lebens ihres seefahrenden Gatten einen galanten Wandel geführt habe, ja daß sie selbst, obgleich auf den Namen N. getauft, die Tochter eines Spaniers sei, weshalb sie stets die Mantille und einen hohen Schildkröt-Kamm à l’espagnole trage. Auch von ihrer Schwägerin erzählte sie mir eine solche Geschichte.

Wenn ich nun spät Abends mit glühendem Gesicht und klopfendem Herzen in das Schulzimmer kam, fand ich Miß H., die schottische Bonne der Kinder, meiner dort wartend, um mich auszukleiden. „Wie verschieden sind Sie von den andern Gouvernanten, die vor Ihnen hier waren! Sie scheinen sich nicht glücklich hier zu fühlen,“ sagte sie eines Abends, als sie mich so aufgeregt und betäubt sah.

„Warum?“ fragte ich.

„Sie sind so zurückziehend und werden so leicht verlegen, während jene sich nackt malen ließen, Sie seufzen, während jene im größten Uebermuthe lebten.“

„Aber wie konnte Frau M. das dulden?“

„Sie hat ihrem Gatten nichts vorzuwerfen.“

Eines Tages, als Herr M. nach S…, wo er Magistrat war, reiste ging D. mit den Kindern und mir spazieren. Unterwegs, während