Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/297

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Tische ging, hätte Lord N. der Frau vom Hause nach englischer Sitte den Arm bieten müssen, da er aber eine unerschütterliche Ruhe behauptete, chassirte Frau M. wie eine Ballettänzerin, welche dem Publikum ihre Verbeugung zu machen geht, durch die offene Thür in den Saal. Ein muthwilliges Lächeln spielte um den Mund N.’s, als er mich anblickte. Bei Tische verdrehte Mistreß die Augen wie ein sterbender Karpfen, um ihnen einen schmachtenden Ausdruck zu geben, bald schraubte sie die Lippen zu der Form einer Kirsche zusammen, bald zeigte sie durch schalkhaftes Lächeln ihre köstlichen Pariser Zähne. Dabei machte sie verzweifelte Versuche, geniale Einfälle, schwärmerische Gefühle und fashionable Ideen-Association zu entfalten, worauf der gewandte Diplomat mit der feinsten Ironie antwortete.

Bisweilen erzählte mir Mistreß, daß ihr Gemahl sein ganzes Glück ihr allein verdanke, indem seine Güter ganz verschuldet, er selbst aber ganz herabgekommen gewesen sei. Andererseits ging Herrn M.’s Eitelkeit soweit, daß er oftmals erzählte, die Londoner Schneider hätten ihm seine Garderobe umsonst gefertigt, damit er ihre Arbeit durch seine Gestalt verherrliche und ihnen reiche Kundschaft zuführe. Er wurde dabei immer zudringlicher, sowohl er wie seine Frau bemüheten sich, durch allerlei Mittheilungen und Vorspiegelungen meine Gewissens-Scrupel zu überwinden, aber mein innerstes Gefühl sträubt sich, dieselben hier mitzutheilen.

Eines Nachmittags schickte Frau M. die Bonne mit den Kindern spazieren und gab vor, ich solle einige Gesänge und Duette für eine große Soiree mit ihr einstudiren. Als ich mich nun allein im Schulzimmer befand, kamen Herr und Frau M. herein, und letztere sagte frech zu mir: „Hier bringe ich Ihnen meinen schönen Mann, dort haben Sie ein Sopha, geniren Sie sich nicht und seien Sie nicht spröde.“

Ich richtete mich in meiner ganzen Höhe auf und maß beide mit Ernst und Verwunderung, was die Schamlose mit einem Lügengewebe über meinen bisherigen Lebenswandel, wie ich es bei den Engländern gewöhnt war, beantwortete. Ich parirte diese Angriffe mit der Ruhe, welche das moralische Uebergewicht verleiht, und hielt Herrn M. damit in der Ferne. Als ich mich mit der an Leib und Seele verkommenen Messaline allein befand, erklärte sie mir sehr entschieden, daß ich nur unter der Bedingung in ihrem Hause bleiben könne, daß ich mich verbindlich