Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/364

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Fuße zu leben, weil dadurch die zum erfolgreichen Unterrichte nothwendige Achtung sofort verloren gehe, und daher entschlossen sei, einer so anstandswidrigen Einrichtung mich nicht zu fügen. Ich sollte dafür empfindlichst gezüchtiget werden. Frau von K. bettete Mathilden sofort weg, allein schon in der nächsten Nacht sollte ich die Martern kennen lernen, welche Silvio Pellico unter den Bleidächern von Venedig ausstand. Nämlich unter den Zimmern der Dach-Etage war meines das einzige, welches der Mittags- und Nachmittags-Sonne ausgesetzt war, und diese brannte mit solcher Gewalt auf das ganz unverhüllte Fenster und das niedrige, flache Dach, daß mein Schlafgemach mehr einem Backofen glich. Hätte Mathilde es mit mir getheilt, so wäre uns unverzüglich Hülfe aus dieser Noth geworden, so aber beantwortete Frau von K. alle meine Klagen mit Achselzucken und Lächeln, ungeachtet ihre Kinder durch meine täglich acht Stunden dauernden Anstrengungen allbewunderte Fortschritte machten. Das Felsenherz dieser deutschen Edelfrau übertraf an Härte die Herzen der englischen Parvenus bei weitem, jedoch besaß ihr Haus den Vorzug, daß wenigstens kein Mangel zu erdulden war. Vor allem machten Nataliens musikalische Progressen allgemeines Aufsehen, denn obwohl noch kein Jahr verstrichen war, seit sie meinen Unterricht genoß, spielte sie doch schon allerliebst vierhändige Sachen mit mir, und man wird begreifen, wie zärtlich ich dieses süße kleine Wesen liebte, das unter meiner Hand sich in jeder Beziehung so vortheilhaft entfaltete. Als ich sie kennen lernte, war sie ein verzogenes, übelgelauntes Kind mit einem muffeligen Gesichtchen, jetzt das lenksamste, fröhlichste Geschöpf mit einem der freundlichsten Engelsköpfchen, die man sich denken kann, und in Ordnungsliebe, sonderlich in Reinlichkeit beschämte sie ihre Schwester Mathilde, wie in allen andern Tugenden.

Um einen Begriff von dem Bildungsgrade des dortigen Adels zu geben, muß ich noch eine Scene schildern. Wir waren eines Sonntags nach einem Städtchen gefahren, um dem Gottesdienste und der Kirchen-Musik beizuwohnen; außer den Töchtern des Hauses war noch ein armes, schmarotzendes Fräulein von der Parthie. Schon von weitem machte sich der viereckige, mit einem Säulen-Aufsatze gekrönte, von einem grünen, pavillon-artigen Dach überragte Thurm sichtbar, glich aber mehr einem Kiosk als einem Kirchthurm. Die Kirche jedoch war ein respectables Steingebäude, aber kein Kreuz im Grundrisse, zufolge einer Inschrift