Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/368

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schamglühend: „Diese finden sich nur bei neueren Bauten, die alten Gothen wußten nichts davon.“

Das hungernde Echo und die Feldgottheit sahen Frau v. K. verdutzt an, als ich bestimmt und fest sagte: „Diese Kirche ist vielmehr der Typus des verdorbenen Geschmackes, welcher sich gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts in Deutschland bildete, und ist mehr komisch als schön zu nennen.“

Die zwei gelehrten Damen lachten laut auf, der Landbauer guckte zweifelhaft bald hierhin, bald dorthin, denn er merkte jetzt, daß er eine verlorene Sache habe vertreten helfen. Ich gönnte den Armseligen die kleine Züchtigung und machte sie dadurch vollständig, daß ich zu Frau v. K. sagte: „Ich habe Sie auf die Gründungs-Jahreszahl 1516 aufmerksam gemacht, die Kirche kann also weder aus den grauen Zeiten der Gothen, noch aus dem Mittelalter stammen, sondern sie stammt sonnenklar aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts.“

Jetzt schwiegen sie alle, denn sie hatten die Zahl 1516 offenbar nicht verstanden, weil eine lateinische Inschrift das Weitere mittheilte, und merkten bei aller ihrer grenzenlosen Anmaßung und Dummheit doch, daß sie sich compromittirt hatten. Natürlich dachten sie auch gleich auf Rache, allein da ich baldige Erlösung zu hoffen hatte, so fürchtete ich diese nicht mehr.

Eines Tages sah mich Mathilde einige Briefe versiegeln und fragte sogleich mit der ihr eigenen Keckheit: „An wen schreiben Sie denn da?“

Als ich ihr diese zudringliche Neugierde verwies, sagte Mathilde trotzig: „Wenn Sie mir die Adresse nicht gutwillig nennen, so werden wir schon Mittel finden, sie zu erfahren,“ und entfernte sich mit einem boshaften Lachen. Sollte man es wohl für möglich halten, daß adelige Leute, die in der Oeffentlichkeit die distinguirtesten und feinsten Formen entwickeln, in der Abgeschiedenheit den proletarischen sich mit Vorliebe hingeben? – Ich trug Nachmittags die Briefe persönlich auf das Postamt und hoffte, dadurch die unziemliche Neugierde meiner Prinzipalität zu überflügeln; ich sah aber zu meiner Verwunderung auf dem Rückwege die Equipage der Gutsherrschaft in’s Schloß fahren, und Mathilde sagte mir Abends mit Triumph, daß Mama sich beim Postmeister nach der Adresse meiner Briefe erkundigt und sie erfahren habe. Ich konnte nicht begreifen, weshalb man auf diese unbedeutenden Dinge so vielen Werth lege und sich darüber so große Blößen gebe, da man doch sonst