Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/57

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habe, die gegenwärtige also ungesäumt kündigen müsse, wobei sie sich ganz glücklich zeigte. Als ich hierauf ihr auch mein Glück mittheilte, stand sie eine Weile versteinert vor Verwunderung, wurde dann aber ganz niedergeschlagen und mißmuthig. Mir fiel La Rochefoucault’s Wort ein: „Wenn Jemand denkt, er sei mit großen Eigenschaften begabt, so frage er sich, ob er neidisch sei, denn der Neid ist ein sicheres Zeichen eines niedrigen Charakters.“ Und Frau von Maintenon pflegte zu sagen: „Die Herzensgüte ist die beste Politik.“ Ich habe beide Maximen immer bestätigt gefunden.

Als die Lady nach Hause kam, benachrichtigte ich sie sofort von meinem Engagement und forderte meinen rückständigen Gehalt, dann verfügte ich mich zu Mistreß E., welche mich nochmals über meine Ansichten und Kenntnisse vom Erziehungswesen prüfte. Während unserer Besprechung stellten sich in Folge einer Anzeige in den Blättern nicht weniger als noch fünf Gouvernanten, und es war für mich nicht wenig schmeichelhaft, daß ich meine schließliche Bevorzugung weder der Empfehlung des Frl. Ch., noch dem Mitleide, sondern meinen Eigenschaften verdankte.

Sieben Jahre waren verflossen, seit ich mein geliebtes Vaterland verlassen, die erste Blüthe meiner Jugend war unter den Stürmen ungewöhnlicher Schicksale gefallen, aber mein Dankgefühl über die endliche Wendung zum Besseren war doch immer so groß, daß ich vor Freude beschloß, mein kleines großelterliches Erbtheil an meine Eltern abzutreten[WS 1], ich kaufte auch Frl. Ch. beim Silberarbeiter ein Andenken, das sie erst gar nicht annehmen wollte, welches ihr aber unbeschreibliche Freude machte. Auch mein Abschied von Signora P. war ein sehr freundlicher. Weil Lady N., ihrem Character treu, mir einen bedeutenden Theil meiner Forderung innebehalten, mich auch auf’s äußerste verunglimpft hatte, so übergab ich dem Juristen, der mir meine Cessions-Urkunde aufsetzte, zugleich diese Angelegenheit zur gerichtlichen Verfolgung und bestieg an einem rauhen Herbstmorgen den Waggon, um meiner neuen Bestimmung mit freudigem Muthe entgegenzugehen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. die Originaldokumente aus London befinden sich in der Nachlassakte der Großmutter im Staatsarchiv Dresden; Marie standen an Geld 63 Thaler und sechs Groschen zu.