Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/64

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auch dadurch meine Einnahmen gestalteten. Mein Schicksal schien mich mit sich selbst versöhnen zu wollen. Mein einziger Kummer war jetzt der um meinen edeln Jugendfreund, der seit langer Zeit meinen suchenden Blicken gänzlich entschwunden war. Hatte er mich vergessen? War er todt? Ach, alle meine Briefe an ihn und seine Mutter blieben ohne Antwort! – Unter den Familien, in welchen ich lehrte, war auch die Familie S. in Oundel, ein wahres Muster der Vollkommenheit, denn sie verband aufrichtige Frömmigkeit mit liebenswürdigster Heiterkeit und aufopfernder Menschenliebe. Ihr galt nur Tugend und Talent; das Gemeine verachtete sie in der prächtigsten Vermummung. Welch ein Gegensatz zu Lady N., deren Mutter schon ihrem ersten Gemale, dem ältesten Sohne des Herzogs von N., auf einem Balle mit dem Grafen L. davongelaufen war, dann diesen geheirathet hatte, später auch ihm entlaufen und in Italien umgekommen war. Solch ein glänzendes Schicksal hat auch ihre würdige Tochter getheilt. – Dem Andringen dieser Familie konnte ich nicht widerstehen. Die süße Eintracht, der himmlische Friede dieses Hauses zog mich allzu mächtig an; ich dachte mit Ernst daran, meine Stellung wieder mit der einer Erzieherin zu vertauschen. Im Laufe des Sommers wurde ich von S.’s eingeladen, während der Badezeit mit den Töchtern nach Dover zu gehen, weshalb ich mich von Frau E. und meinen andern Freunden während der Sommerferien beurlaubte. Unsere Gesellschaft bestand aus Mary, aus Ellen, meiner ältesten, und Pauline, meiner zweiten Schülerin. Emma und Henriette blieben bei den Eltern und sollten Jene später im Bade ablösen. Wir bezogen das erste Stockwerk eines schönen Hauses, mit unmittelbaren Aussicht auf das herrliche Meer.

Das stete Zusammenleben, welches der Stein des Anstoßes der meisten Freundschaften ist, diente dazu, die unsrige zu befestigen, denn die Vortrefflichkeit dieser Charaktere übertraf meine bisherige Meinung noch um Vieles. Nie entdeckte man auf ihrer Stirn eine Wolke oder irgend welche Unzufriedenheit in ihrem Betragen, sondern ihre Stimmung war eine höchst gleichförmige und zuverlässige, wie sie bei gesunden Seelen sein muß; ihre echte Sittlichkeit zeigte sich in der Richtigkeit der Begriffe, wie in dem Urtheil über Menschen und Dinge. – Nach drei Wochen verließen uns Marie und Pauline; Ellen, die kränklichste, blieb, und Emma und Henriette kamen an. Emma besaß weniger Tiefe des Gefühls und Gründlichkeit des Wissens als Mary, aber sprudelnden