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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

gemeinsame Sache machen und der Beamte Richter sicherlich ins Vertrauen gezogen hätte …“ – Werres trank schon merklich ruhiger einen Schluck des vorzüglich gehaltenen Müncheners und setzte dann seine Mahlzeit fort. „Aber was tut Behrent in dieser Verkleidung hier?“ überlegte er weiter. Und daß er wenige Minuten nach mir kam und sich mir gegenüber setzte – sollte das wirklich nur Zufall sein?!“

Plötzlich legte Werres Messer und Gabel hin und lehnte sich in seinen Stuhl zurück; beinahe hätte er leise durch die Zähne gepfiffen. – Er war auf das Richtige gekommen: Behrent, zu dem der Kommissar das meiste Vertrauen hatte, war von diesem zu seiner Beobachtung beordert worden. – Der Doktor lächelte wieder vor sich hin, dieses Mal recht vergnügt. Ein Kriminalbeamter, der einen Kollegen belauert, eigentlich doch ein ganz scherzhafter Gedanke! – Aber das Lächeln verschwand schnell. Die Entdeckung, die er da eben gemacht hatte, war doch weniger harmlos, zeigte vielmehr, mit welch unlauteren Mitteln sich Richter von seinen Absichten und Plänen Kenntnis verschaffen wollte! – Feine Taktik, nur schade, daß dieser auf seine Art raffinierte Kriminalkommissar ihn so wenig kannte!“ – Werres schaute unauffällig zu dem Beamten hinüber, der anscheinend mit vielem Vergnügen ein Witzblatt studierte. – „Aber ich muß ihn hier weggraulen,“ sagte sich der Doktor weiter; „der Mann ist mir unbequem und außerdem möchte ich meinem Herrn Vorgesetzten baldigst zeigen, daß er’s mit mir doch etwas schlauer anfangen muß!“ Er schob den Teller von sich und warf die Serviette zusammengeknüllt auf den Tisch. Der Kellner trug ab und brachte ihm dann einen neuen Krug.

Nach einer Weile stand Werres auf und ging quer durch das Zimmer an den Zeitungsständer, wo er unter den Journalen herumsuchte. Wie enttäuscht wandte er sich schließlich ab und schaute zu Behrent hinüber, der neben sich auf dem Sofa verschiedene illustrierte Zeitschriften liegen hatte. Zögernd ging er auf ihn zu und fragte höflich – „Gestatten Sie mir vielleicht den „Kladderadatsch“ auf wenige Minuten?“ Zuvorkommend reichte ihm der Beamte das Blatt hin, ohne sich aber im geringsten zu verraten. Und während Werres nun etwas vornübergebeugt den Kladderadatsch zusammenrollte, sagte er mit dem ernstesten Gesicht, als ob er mit dem Herrn auf dem Sofa nur einige Dankesworte austauschte – „Sie sollten Ihren Beruf aufgeben, Behrent – Sie haben sich Ihre Nase zu blaß gepudert …“ Dann ging er mit einer höflichen Verbeugung auf seinen Platz zurück.

Das kleine Intermezzo war im Lokal nicht aufgefallen, wie Werres sehr bald feststellte, trotzdem der Kriminalbeamte wie erstarrt dasaß und sekundenlang seinem Gegenüber erschreckt nachschaute. Der Doktor zündete sich in aller Gemütsruhe eine Zigarette[1] an und nahm dann seine Abendzeitung wieder zur Hand. Die Nummer des Kladderadatsch ließ er unbeachtet neben sich liegen. Es dauerte nicht lange, da klingte Behrent gegen sein Glas und bezahlte. Der Kellner half ihm in den Mantel – dann schlug die Tür hinter dem Beamten zu. Werres hatte nicht aufgesehen; er war froh, daß er seinen Aufpasser so leichten Kaufs losgeworden war.

Die Zeit verging. Inzwischen waren noch mehrere Gäste gekommen und die beiden Räume des Lokals hatten sich ziemlich gefüllt. Die große Wanduhr schlug gerade mit dumpfen, langsamen Schlägen acht, als die Tür sich wieder öffnete und mit aufgeschlagenem Paletotkragen, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, ein Herr erschien, der Werres kaum erblickt hatte, als er auf ihn schon zusteuerte und ihn lebhaft begrüßte.

„Sagen Sie mal, wie geht es Ihnen denn? Man sieht Sie ja gar nicht mehr!“ Dann reichte er Hut und Paletot dem Kellner und setzte sich ohne weiteres zu Werres an den Tisch. „Angenehm bin ich Ihnen selbstverständlich, Kollege?!“ meinte er lachend. – Es war ein älterer Referendar, Dr. Möller, ein fideler Kauz, der sich seiner unverwüstlichen Laune wegen überall großer Beliebtheit erfreute. Möller bestellte sich nichts – der Kellner brachte ihm als altem Stammgast von selbst einen Halbliterkrug Echtes und fragte nur noch: „Haben Herr Doktor schon gegessen?“ Als dieser nickte, verschwand er wieder.

Der Referendar erkundigte sich eingehend nach Werres Tun und Treiben und schließlich lenkte sich das Gespräch auch auf die Angelegenheit Friedrichs.

„Da haben Sie nun wohl reichlich Beschäftigung?“ fragte er interessiert.

„Es geht, die Arbeit verteilt sich bei uns sehr.“

„Aber undankbar!“ meinte Möller bedauernd. „Schon die Zeitungen allein müssen Ihnen mit den ewigen Sticheleien die Sache verleiden! Na, in der Haut des mit dem Fall betrauten Kriminalkommissars möchte ich auch nicht stecken! – Wirklich eine geheimnisvolle, ganz unerklärliche Sache – habe selbst darüber manchen Übermittag nachgegrübelt, wenn ich auf meinem Diwan lag und zur Verdauung Gott Morpheus erwartete; aber der alte Herr kam regelmäßig sehr schnell; denn je länger man darüber nachdenkt, desto schneller verwirren sich die Gedanken und man ist eingeschlafen! Aber einiges habe ich mir in meinem klassisch reinen Juristenhirn doch zusammengeknobelt.“

Werres rauchte schweigend einige Züge und sagte dann achselzuckend: „Mögen die Zeitungsschreiber nur über die unfähige Polizei herziehen – noch ist nicht aller Tage Abend – und wer zuletzt lacht, lacht bekanntlich am besten!“

Möller schaute seinen Nachbar prüfend an. „Meinen Sie das nun wirklich ernst?“ fragte er ungewiß. „Nach dem was Sie eben sagten, müßte ja die Kriminalpolizei doch eine Spur verfolgen … und bisher hat man davon leider nichts gehört.“


  1. Vorlage: Zigarrette
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)