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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(11. Fortsetzung)

Auch ihre letzten Briefe zeigten wieder diese resignierte Trauer über diese seine Verirrung, wie sie es nannte – ja, sie hatte ihm sogar den Vorschlag gemacht, diese Tätigkeit aufzugeben; – denn sie fühle, daß sie sich mit dem Gedanken nicht vertraut machen könne, ihren späteren Gatten in einer Stellung zu sehen, die seinen Kenntnissen nicht entspreche. – Diesen ihren Brief hatte er zusammengeknüllt und von sich geschleudert. – Also noch etwas anderes sprach bei ihr mit: Ihr genügte seine Stellung nicht …! Da hatte er ihr zum ersten Male eine Antwort geschrieben, in der schroffe Worte ihr klar machten, wie Unrecht sie täte und wie kleinlich es sei, mit solchen Bedenken seine besten Absichten so egoistisch zu beurteilen – daß eine große, echte Liebe sich kaum an solchen Äußerlichkeiten stoßen könnte, die außerdem lächerlich wären, da er als Referendar und Dr. jur. es sehr bald zu einer höheren Stellung bringen könnte, die auch ihren Wünschen dann entsprechen würde. Nur seine Tatkraft sollte sie nicht durch diese ihn verletzenden Bemerkungen lähmen. – Das hatte er seiner Braut vor wenigen Tagen geschrieben …

Und da lag nun wieder ein Brief von ihr – wohl wieder dieselben versteckten Vorwürfe darin, dieselben Bitten: Gib diese Stellung auf …! – Werres nahm langsam den Brief und öffnete das Kuvert. Es waren acht engbeschriebene Seiten … Seine Wirtin kam und räumte das Zimmer auf, so geräuschlos, daß sie ihn kaum störte. Er las – las – und dann ließ er müde die Hand mit den Blättern sinken und starrte vor sich hin. Ein in Werres Gesicht so seltener Zug lagerte sich um seinen Mund, um seine Augen. Es war ein so trauriger, gequälter Ausdruck darin und seine Lippen zuckten in verhaltenem Weh. Lange saß er so und überlegte. Die Frau war wieder davon geschlichen – er merkte es nicht. Und jetzt wußte er, was ihn heute aufgestört hatte, jetzt kannte er den Grund für dieses Angstgefühl. Es war die bange Ahnung, daß er sie, sein Letztes, das ihm lieb und teuer war, verlieren würde.

Er erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor seinem Schreibtisch stehen. Da waren ihre Bilder – das war sie, die er liebte, er, der scheinbar so wenig warmes Empfinden besaß … scheinbar! Und jetzt lächelte er wieder sein altes, böses Lächeln! So war er denn auch an ihr irre geworden, an diesem Wesen, dem er sein Bestes gegeben … So war ihre Liebe zu ihm nichts als – Mitleid, das ihre weiche Mädchenseele für den so seltsam Verschlossenen, in Momenten so frauenhaft zart Empfindenden gefühlt hatte … Nun sollte er wieder allein sein wie einst, wo die Sehnsucht ihn zu ihr hintrieb und er bettelte – um Liebe! – Und glücklich war er gewesen – eine kurze Zeit hatte die Sonne ihm anders geschienen und die Welt war ihm so verklärt vorgekommen … Vorbei …! Sollte er denn nochmals bitten, nochmals ihr

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/35&oldid=- (Version vom 31.7.2018)