verfallen, mit welchem wir entweder beschnitten oder rituell geschächtet werden. Unter diesen Umständen wäre es vielleicht angezeigt, den freundlichen Wink zu beachten, den ein jüdischer Regimentsarzt schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gegeben hat, indem er den Vorschlag machte, zu nächst aus hygienischen Gründen vorerst alle deutschen Soldaten zu beschneiden. Doch Dr. Hentschel hat keine Hoffnung mehr, er glaubt an keine Rettung vor den Juden, denn die Gleichgültigkeit des deutschen Volkes und seiner Regierung den Imponderabilien gegenüber ist zu groß, sie sieht den Schmerz Dr. Hentschels nicht und nimmt keinen Anteil an ihm. „An den fressenden Schmerz in den Herzen derer, “ sagt er, „die in den Abgrund hinabblicken, weil ein Gott ihre Augen schärfer machte, - daran denkt keiner!“ . . .
Was übrigens die eigentliche Ritualmordfrage betrifft, so gesteht Dr. Hentschel offen ein, daß er ein Urteil über dieselbe nicht abgeben kann. Er sagt: „Welche besonderen Formen freilich diese ritualen Blutmord-Vorstellungen in dem kassarischen Nomaden-Bewußtsein angenommen haben, können wir nicht wissen, solange sie uns nicht von den Eingeweihten offenbart werden; was darüber von guten Antisemiten und schlechten Musikanten gefabelt wird, und zum Teil wohl auch in dieser Antworten-Sammlung zum Ausdruck kommen dürfte, kann den wissenschaftlich Denkenden wenig interessieren. Thatsachen sind eines und Phantasien ein anderes.“ – Das ist auch ganz meine Meinung. Die Gutachten über den Blutmord in der Staatsbürger-Zeitung können uns nur insoweit interessieren, als wir aus denselben erkennen, daß die „hervorragenden Männer der Wissenschaft und des praktischen Lebens,“ von denen sie verfaßt wurden, wohl gute Antisemiten, aber schlechte Musikaten sind, die ihre Phantasien, Ausgeburten ihrer an Judenfeindschaft und Judenfurcht kränkelnden Einbildungskraft, als Thatsachen ausgeben möchten. Nachdem aber H. Dr. Hentschel selbst eingesteht, daß er nicht weiß, welche Formen der Blutmord bei den Kassaren angenommen hat, und nachdem die Geschichte von einem Blutmord bei den Kassaren überhaupt nichts weiß, während bei den Sephardim vom Blutmord ohnedies keine Rede ist, muß er uns schon gestatten, daß wir auch sein in mancher Hinsicht „interessantes Gutachten“ als eine Leichenrede betrachten, die er dem Ritualmord-Aberglauben gehalten hat.
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/61&oldid=- (Version vom 31.7.2018)