Seite:Der Stechlin (Fontane) 256.jpg

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Die Herren vom Lande werden so leicht ungeduldig, und ich wundere mich oft, daß sie die Predigt bis zu Ende mitanhören. Daneben ist freilich meine Geschichte aus Siam…“

     „Erzählen, Direktorchen, erzählen.“

     „Nun denn, auf Ihre Gefahr. Freilich auch auf meine… Da war also, und es ist noch gar nicht lange her, ein König von Siam. Die Siamesen haben nämlich auch Könige.“

     „Nu, natürlich. So tief stehen sie doch nicht.“

     „Also da war ein König von Siam, und dieser König hatte eine Tochter.“

     „Klingt ja wie aus’m Märchen.“

     „Ist auch, meine Herren. Eine Tochter, eine richtige Prinzessin, und ein Nachbarfürst (aber von geringerem Stande, so daß man doch auch hier wieder an den Kandidaten erinnert wird) – dieser Nachbarfürst raubte die Prinzessin und nahm sie mit in seine Heimat und seinen Harem, trotz alles Sträubens.“

     „Na, na.“

     „So wenigstens wird berichtet. Aber der König von Siam war nicht der Mann, so was ruhig einzustecken. Er unternahm vielmehr einen heiligen Krieg gegen den Nachbarfürsten, schlug ihn und führte die Prinzessin im Triumphe wieder zurück. Und alles Volk war wie von Sieg und Glück berauscht. Aber die Prinzessin selbst war schwermütig.“

     „Kann ich mir denken. Wollte wieder weg.“

     „Nein, ihr Herren. Wollte nicht zurück. Denn es war eine sehr feine Dame, die gelitten hatte…“

     „Ja. Aber wie…“

     „Die gelitten hatte und fortan nur dem einen Gedanken der Entsühnung lebte, dem Gedanken, wie das Unheilige, das Berührtsein, wieder von ihr genommen werden könne.“

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Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_256.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)