Seite:Der Stechlin (Fontane) 316.jpg

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     „Das hängt ganz davon ab,“ sagte Melusine, „wie Sie sich einschätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen, sondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Ostelbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunst und Christentum ein übriges zu leisten, so müssen Sie Cujacius freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; ist übrigens lange nicht der Schlimmste. Selbst seine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und geschüttelt Maß, gestehen ihm ein hübsches Talent zu, nur verdirbt er alles durch seinen Dünkel. Und so hat er denn keine Freunde, trotzdem er beständig von Richtungsgenossen spricht und auch heute wieder sprach. Gerade diese Richtungsgenossen aber hat er aufs entschiedenste gegen sich, was übrigens nicht bloß an ihm, sondern auch an den Genossen liegt. Gerade die, die dasselbe Ziel verfolgen, bekämpfen sich immer am heftigsten untereinander, vor allem auf christlichem Gebiet, auch wenn es sich nicht um christliche Dogmen, sondern bloß um christliche Kunst handelt. Zu des Professors Lieblingswendungen zählt die, daß er ‚in der Tradition stehe‘, was ihm indessen nur Spott und Achselzucken einträgt. Einer seiner Richtungsgenossen, – als ob er mich persönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen, – fragte mich erst neulich voll ironischer Teilnahme: ‚Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?‘ Und als ich ihm antwortete: ‚Sie spötteln darüber, hat er denn aber keine?‘ bemerkte dieser Spezialkollege: ‚Gewiß hat er eine Tradition, und das ist seine eigne. Seit fünfundvierzig Jahren malt er immer denselben Christus und bereist als Kunst-, aber fast auch schon als Kirchen-Fanatiker, die ihm unterstellten Provinzen, so daß man betreffs seiner beinah’ sagen kann: ‚Es predigt sein Christus allerorten, ist aber drum nicht schöner geworden.‘ “

     „Melusine, du darfst so nicht weiter sprechen,“ unterbrach hier Armgard. „Sie wissen übrigens, Herr von Stechlin,

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Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_316.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)