Seite:Der Todesgang des armenischen Volkes.pdf/10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Daschnakzutiun war inzwischen nach Sofia verlegt worden. Die Nachrichten, die ich in Bukarest und Sofia empfing, die durch Korrespondenzen aus dem Innern und durch zugereiste Armenier einliefen, gaben bereits ein Bild von Vorgängen, die auf eine planvolle Vernichtung der armenischen Bevölkerung des Innern schließen ließ. Die Berichte aus Konstantinopel machten es sehr unwahrscheinlich, daß ich dort von seiten der Daschnakzagan direkte Informationen würde erhalten können, denn die Führer waren bei der Massenverhaftung von Intellektuellen am 24.–26. April bereits deportiert und die Zurückgebliebenen wurden scharf von der Polizei überwacht.

Ich dehnte daher meinen Aufenthalt in Sofia etwas länger aus, als meine ursprüngliche Absicht war, weil ich hier, wie auch später nach meiner Rückkehr, die zuverlässigsten Nachrichten erhalten konnte.

Schon in denselben Tagen, in denen Talaat Bey die Erlaubnis zu meiner Reise nach Konstantinopel gegeben hatte, Ende Juni, war der Befehl zur allgemeinen Deportation der armenischen Bevölkerung in Kraft getreten. Als ich in Sofia eintraf, lagen schon Nachrichten vor, daß in den östlichen Provinzen die systematische Abschlachtung der Deportierten auf den Wanderzügen durch das armenische Hochland begonnen hatte. Es war bereits klar, daß es auf die Vernichtung der armenischen Nation abgesehen war. An eine Rückgängigmachung der Maßregel, die seit Wochen in vollem Gange war, war nicht mehr zu denken. Es bestand nur noch die Hoffnung, daß die unvollständigen Nachrichten übertrieben sein könnten und daß wenigstens die westlichen und zentralen Wilajets von Anatolien noch verschont bleiben würden. In Zilizien war es zwar schon zu Verschickung ganzer Bezirke, aber noch nicht zu Massakres gekommen. Wenn die Maßregel für die bisher verschonten Gebiete noch verhindert, und den Massakres Einhalt geboten werden konnte, war noch viel zu retten. Ich setzte daher meine Reise nach Konstantinopel fort und machte nur noch

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite VII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)