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sträubte, arbeiteten die Häupter der jungtürkischen Partei um so energischer daran, die Muhammedaner gegen die Armenier aufzureizen. Sie erklärten, es sei ein Fehler Abdul Hamids gewesen, daß er die Massakers vor zwanzig Jahren nicht gründ­licher veranstaltet und alle Armenier ausgerottet habe.

Das Verhältnis der armenischen zur türkischen Be­völkerung in Erzerum war ein ausgezeichnetes gewesen. Erst durch jungtürkische Agitatoren wurden die Muham­medaner aufgestachelt und die Regierung verhindert, gegen Gewalttaten einzuschreiten. Die Jungtürken bestanden darauf, den Rest der männlichen Bevölkerung an die Front zu schicken, um dann freie Hand zu haben. Von ihren türkischen Freunden wurden die Armenier gewarnt, ihre Häu­ser zu verlassen.

Zur Zeit der Konstitution waren von den Jungtürken Waffen auch an die armenischen Dörfer verteilt worden, auf deren Hilfe sie im Falle einer Reaktion rechneten. Diese Waffen wurden ihnen jetzt unter sinnlosen Torturen wieder abgenommen.

In dem Hause eines Armeniers namens Humajak in Erzingjan befand sich ein Tonnür, ein in den Boden ge­grabener Backofen. Unter dem Backofen entdeckten die Gendarmen einen Brunnen, der längst außer Gebrauch und verschlossen war. Die Gendarmen vermuteten Waffen in dem Brunnen, fanden aber keine und schlugen deshalb den Humajak so fürchterlich, daß er krank wurde. Der arme Mann hatte das Haus erst seit einem Monat gemietet und hatte keine Ahnung, daß sich unter dem Tonnür eine Zisterne befand. Als der Mann wieder laufen konnte, wurde er verhaftet und im Gefängnis gefoltert. Die Nägel und Bündel von Haaren wurden ihm mit Zangen herausgerissen. Wenn er das Bewußtsein verlor, wurde er mit einem kalten Wasserguß wieder zur Besinnung gebracht

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/72&oldid=- (Version vom 17.8.2020)