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Die Stadtbevölkerung wurde in drei großen Haufen verschickt. Den zweiten Haufen fand man als Leichen an der Straße liegen. Sie waren von türkischen Banden überfallen worden, die die Frauen und Mädchen mitnahmen, die größeren Kinder und die älteren Frauen töteten und die kleinen Kinder an die türkischen Dorfbewohner verteilten. Die Witwe eines angesehenen Armeniers, die bei einem letzten Schub von 400 bis 500 Deportierten war, erzählte von ihren Erlebnissen folgendes:

„Mein Mann starb vor acht Jahren und hinterließ mir, meiner achtjährigen Tochter und meiner Mutter einen ausgedehnten Besitz, von dem wir behaglich leben konnten. Seit Beginn der Mobilisation hat der Kommandant mietfrei in meinem Hause gewohnt. Er sagte mir, ich würde nicht zu gehen brauchen, aber ich fand, daß ich verpflichtet sei, das Schicksal meines Volkes zu teilen. Ich nahm drei Pferde mit mir, die ich mit Vorräten belud. Meine Tochter hatte einige Goldmünzen als Schmuck am Halse, und ich hatte etwa zwanzig Pfund und vier Diamanten bei mir. Alles übrige mußten wir zurücklassen. Unser Trupp brach am 14. Juni auf. Er zählte 400 bis 500 Personen, 15 Gendarmen begleiteten uns. Der Mutessarif (Regierungspräsident) wünschte uns eine „glückliche Reise“. Wir waren kaum zwei Stunden von der Stadt entfernt, als Banden von Dorfbewohnern und Banditen in großer Zahl mit Büchsen, Gewehren, Äxten usw. uns auf der Straße umzingelten und alles dessen beraubten, was wir mit uns hatten. Die Gendarmen selbst nahmen meine drei Pferde und verkauften sie an türkische Muhadjirs. Das Geld dafür steckten sie ein. Sie nahmen weiter mein Geld und das, was meine Tochter am Halse trug, dazu alle unsere Nahrungsmittel. Darauf trennten sie die Männer von uns. Im Verlauf von sieben bis acht Tagen töteten sie einen nach dem andern. Keine männliche Person über 15 Jahre blieb übrig. Zwei Kolbenschläge genügten, um einen

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/83&oldid=- (Version vom 31.7.2018)