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Ich hing das Gewehr über den Rücken und machte mich auf den Weg. Eine halbe Seemeile vom Hause erhob sich die bewaldete Bergkette; um einen Aussichtspunkt zu gewinnen, strebte ich dem höchsten Gipfel derselben zu. Ich erreichte ihn, fand den Wald dort aber so dicht, daß jeder Ausblick versperrt war. Da fielen mir einige besonders hohe Bäume in die Augen und ich erinnerte mich, daß ich vor gar nicht langer Zeit schon einmal auf einen solchen alten Riesen hinaufgeentert war. Ich ging näher hinzu, fand zu meiner Befriedigung, daß die Bäume zu den Koniferen gehörten, beinahe vom Erdboden an Äste trugen und so leicht zu ersteigen waren, wie die Treppen unsrer Korvette. Nach wenigen Minuten saß ich in der höchsten Spitze des größten dieser Altväter des Waldes und hatte von hier aus einen Rundblick, dessen Radius ich auf mindestens dreißig Seemeilen schätzte.

Den Hauptteil des Panoramas bildete der Kongostrom, der hier über drei Seemeilen breit war, aber der vielen Inseln wegen, die sich in seiner Mitte bis etwa vier Seemeilen weiter flußabwärts entlang zogen, nur ein eigentliches Fahrwasser von kaum einer halben Seemeile Breite aufwies. Ich konnte bis zur Mündung hinausschauen, Shark Point war am westlichen Horizont noch eben erkennbar. Ich war überzeugt, daß an einem klaren Tage und mit einem guten Fernrohr der „Wolf“ von hier aus leicht gesichtet werden könnte, wenn er im Banana Creek vor Anker läge.

Nachdem ich diese wichtige Sache festgestellt hatte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die nächste Umgebung, um den Creek zu suchen, der meiner Ansicht nach hier nicht weit sein konnte. Ich überflog das sich unter mir ausbreitende Meer von Baumwipfeln und entdeckte auch bald einen Gegenstand, der sich wie ein Pfahl oberhalb der Blätterkronen zeigte. Das konnte nichts andres sein, als der Topp eines Mastes; wo ein Mast war, da war auch ein Schiff, und wo das Schiff lag, da mußte der Creek sein. Das in einem so verdächtigen Versteck liegende Fahrzeug konnte nur das unsers unverschämten Freundes Ribera sein; mich packte die Neugier und sofort stand mein Entschluß

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/100&oldid=- (Version vom 31.7.2018)