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Der Wirthin Töchterlein.

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein,
Bei einer Frau Wirthin, da kehrten sie ein.

„Frau Wirthin! hat sie gut Bier und Wein?
Wo hat sie ihr schönes Töchterlein?“

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„Mein Bier und Wein ist frisch und klar,

Mein Töchterlein liegt auf der Todtenbahr.“

Und als sie traten zur Kammer hinein,
Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Der erste, der schlug den Schleier zurück

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Und schaute sie an mit traurigem Blick:


„Ach! lebtest du noch, du schöne Maid!
Ich würde dich lieben von dieser Zeit.“

Der zweite deckte den Schleier zu,
Und kehrte sich ab, und weinte dazu:

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„Ach! daß du liegst auf der Todtenbahr!

Ich hab dich geliebet so manches Jahr.“

Der dritte hub ihn wieder sogleich,
Und küßte sie an den Mund so bleich:

„Dich liebt’ ich immer, dich lieb’ ich noch heut,

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Und werde dich lieben in Ewigkeit.“


 Volker.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)